HORST UND METKA / HORST IN METKA Ein traurig-schönes Märchen, in Leinen gebunden Žalostno-lepa pravljica, vezana v platno
Vor einem großen Tal wohnte ein armer Tafelstürmer mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern. Der Bub hieß Horst und das Mädchen Metka. Der Mann hatte wenig Vernunft oder Verständnis oder besonders viel von beidem, jedenfalls war ihm nicht geheuer, dass Metka neben seiner, nämlich der des Vaters, aber auch der der Mutter, noch die zweite Sprache des Lands konnte. (Er selbst hatte sie längst und mit Gewalt vergessen, wenn das überhaupt geht.)
Eines Nachts wälzte er sich wieder im Bett und seufzte seiner Frau schwermütig in das Ohr: »Mojca, was soll aus uns werden? Wie können wir das arme Kind überzeugen, nur noch eine Sprache zu sprechen?«
»Weißt Du was, Franci, am zehnten Oktober machen wir eine Bergwanderung und dort, wo die Urangst am größten ist, knapp unter der Stelle, an der die Grenze mit Blut geschrieben wurde, machen wir ein Feuer und lassen Metka unter dem Vorwand, wir würden Tafeln ausreißen gehen, zurück. Unseren kreuzbraven einsprachigen Horst nehmen wir mit und sagen Metka, er müsse uns helfen.«
»Nein, Frau, das mache ich nicht! Wenn Metka ein paar Schritte weitergeht, ist sie bereits dort, wo alle ihre zweite als erste Sprache sprechen! Ja, wollen wir das, Mojca?«
»O, Du trnehelj! Äh, entschuldige, Du Narr! Willst Du die zweite Sprache immer im Haus haben, Franci?«
Metka konnte über den Vorwürfen der Eltern, die sie ihr tagsüber machten, nicht einschlafen, und hörte alles mit. Man wollte sie verschleppen, horuck über den Loibl schicken, von daham verjagen. Ach, in die Fremde sollte sie. Doch sie grämte sich nicht weiter, weil sie überzeugt war, es würde ihr schon etwas einfallen in ihrer Not. Sie hing sehr an ihrer zweisprachigen Heimat und wollte sie nur nicht verlieren.
Als Franci, Mojca und Horst eingeschlafen waren, schlich sich Metka zu ihrem kleinen wackeligen Schreibtisch, zog die Lade ganz vorsichtig auf und nahm aus ihr eine kleine Schachtel. Darin befanden sich alle Hačeks aus Katzensilber, die sie hatte. Sie hatte sie lang gesammelt und es waren einige. Damit wollte sie am zehnten Oktober den Weg markieren, um nach Hause zurückzufinden.
Dann kam, wie jedes Jahr, der einhundertfünfzigprozentige Heimatfeiertag. Mojca schnürte am Morgen das »Original Jausensackerl« mit kaltem Lindentee, pohača und und und. Dann ging es los. Gen Berg. Franci, Mojca und Horst frönten vordergründig ihrer Sangesfreude. Metka hielt - mit Schwermut - gehörigen Abstand, um die Katzensilberhäkchen behutsam zu verteilen.
Als sie an der beabsichtigten Stelle ankamen, hieß die Mutter Horst und Metka Reisig für ein Feuerchen zu sammeln. Sie trugen es zusammen, einen kleinen Berg hoch. Das Reisig wurde angezündet und als die Flamme brannte wie Heimatliebe, sagte die Mutter: »Metka, leg’ Dich ins..., äh, zum Feuer, mach’ es Dir schön und warte auf uns! Wir werden den Tag über arbeiten und holen Dich dann.« Das Mädchen tat als ob es nichts wüsste und streckte sich folgsam im Berggras aus.
Den Tag über blieb es beim Feuer, weil es nicht wusste, ob die Eltern und der Bruder vielleicht aus sicherer Entfernung beobachten würden, was es so unternimmt. Dann wurde es zunächst dämmerig, später finsterer und schließlich finster. So finster wie manchmal in diesem Land. Nun war es überzeugt, die Ihren seien längst zuhause, weshalb es sich auf den Weg machen konnte.
Metka nützte als kluges Mädchen die langen Stunden leidlich und dachte sich einen wunderschönen Plan aus. Ob er erfolgreich sein würde, wusste sie nicht. Sie wollte sich selbst auch nicht zuviel versprechen. Hätte sie jemand, wie es oft geschieht, gefragt, ob sie den Plan in der einen oder anderen Sprache ersonnen hatte, könnte sie die Frage nicht schlüssig beantworten. Jedenfalls wäre es kein leichtes, wie es auch schwer wäre, zu sagen, in welcher Sprache sie träume.
Wie auch immer. Metka arbeitete sich aufmerksam zum ersten Haček, der gut auf ein Č gepaßt hätte, vor, und folgte dann den anderen, den vielen Š und Ž.
Als sie nach Stunden zum »Eltern«haus kam, ging sie schnell daran vorbei, weil sie auf dem Weg in die Landeshauptstadt war. Wieder Stunden später, es war mittlerweile Morgen, kam Metka in der Stadt an. Geradewegs ging sie in die erste Buchhandlung mit Werken in der zweiten Sprache und dort schnurstracks auf die Klassiker zu. Sie nahm ein Buch nach dem anderen aus den Regalen, überflog in diesem und einem anderen ein paar Seiten, las quer, schmökerte, studierte adagio, vertiefte sich, verwarf auch etwas, irgendeinen weinerlichen Landsmann halt, und entschloss sich schließlich zum Kauf eines Buchs, das ein schönes Lesebändchen hatte, in rotes Leinen gebunden war und fast zweihundert Seiten umfasste.
Darauf verließ sie die Buchhandlung, seufzte, atmete tief durch, sah sich auf dem Hauptplatz das weithin bekannte Denkmal der Stadt an, machte mit neuer Kraft kehrt in südliche Richtung und begab sich wiederum auf einen Weg. Dieses Mal in Richtung des großen Tals. Es dauerte Stunden bis zur Rückkehr. Jetzt war sie schon ein bisschen müde und erschöpft.
In das Elternhaus war offensichtlich bereits der einsprachige Alltag eingezogen, weil Metka nicht zuhause war. Fast war es traurig, dass die zweite Sprache mit einer solchen Geschwindigkeit ausgestorben zu sein schien.
Metka fasste allen Mut, holte wieder tief Luft, lief im Gesicht ein bisschen rot an, ohne zu wissen, warum, und überschritt die Schwelle. Schon beim Eintritt, sozusagen zwischen Tür und Angel, platzte es aus ihr heraus: »Bevor ihr mich noch einmal und dann wohl endgültig aussiedelt, gebt mir eine Viertelstunde. Mehr werde ich nicht brauchen.«
Die Eltern wollten, da sich ihre Herzen doch ein bisschen rührten, Metka nicht gleich vertreiben und nickten halbherzig. Metka fing nun an, eine Geschichte aus dem Buch, das sie in der Stadt mit der größten Liebe ausgesucht hatte, mit ganzer Inbrunst zu lesen.
Sie las die erste, zweite und dritte Minute. Hatten die Eltern zuerst weggehört, waren sie dann doch halbherzig dabei und hörten zum Schluss mit ganzem Ohr zu. Als Metka die Geschichte zuende gelesen hatte, verstanden die Eltern, was sie versäumen würden, wenn es diese und andere Geschichten nicht mehr geben dürfte. Und letztlich war es die Mutter, die bereits mit einiger Überzeugung sagte: »Dvojezično je le bolje!« Was soviel heißt wie Zweisprachig ist doch besser!
Pugrad/ Podgrad, im Oktober 2004
Vor einem großen Tal wohnte ein armer Tafelstürmer mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern. Der Bub hieß Horst und das Mädchen Metka. Der Mann hatte wenig Vernunft oder Verständnis oder besonders viel von beidem, jedenfalls war ihm nicht geheuer, dass Metka neben seiner, nämlich der des Vaters, aber auch der der Mutter, noch die zweite Sprache des Lands konnte. (Er selbst hatte sie längst und mit Gewalt vergessen, wenn das überhaupt geht.)
Eines Nachts wälzte er sich wieder im Bett und seufzte seiner Frau schwermütig in das Ohr: »Mojca, was soll aus uns werden? Wie können wir das arme Kind überzeugen, nur noch eine Sprache zu sprechen?«
»Weißt Du was, Franci, am zehnten Oktober machen wir eine Bergwanderung und dort, wo die Urangst am größten ist, knapp unter der Stelle, an der die Grenze mit Blut geschrieben wurde, machen wir ein Feuer und lassen Metka unter dem Vorwand, wir würden Tafeln ausreißen gehen, zurück. Unseren kreuzbraven einsprachigen Horst nehmen wir mit und sagen Metka, er müsse uns helfen.«
»Nein, Frau, das mache ich nicht! Wenn Metka ein paar Schritte weitergeht, ist sie bereits dort, wo alle ihre zweite als erste Sprache sprechen! Ja, wollen wir das, Mojca?«
»O, Du trnehelj! Äh, entschuldige, Du Narr! Willst Du die zweite Sprache immer im Haus haben, Franci?«
Metka konnte über den Vorwürfen der Eltern, die sie ihr tagsüber machten, nicht einschlafen, und hörte alles mit. Man wollte sie verschleppen, horuck über den Loibl schicken, von daham verjagen. Ach, in die Fremde sollte sie. Doch sie grämte sich nicht weiter, weil sie überzeugt war, es würde ihr schon etwas einfallen in ihrer Not. Sie hing sehr an ihrer zweisprachigen Heimat und wollte sie nur nicht verlieren.
Als Franci, Mojca und Horst eingeschlafen waren, schlich sich Metka zu ihrem kleinen wackeligen Schreibtisch, zog die Lade ganz vorsichtig auf und nahm aus ihr eine kleine Schachtel. Darin befanden sich alle Hačeks aus Katzensilber, die sie hatte. Sie hatte sie lang gesammelt und es waren einige. Damit wollte sie am zehnten Oktober den Weg markieren, um nach Hause zurückzufinden.
Dann kam, wie jedes Jahr, der einhundertfünfzigprozentige Heimatfeiertag. Mojca schnürte am Morgen das »Original Jausensackerl« mit kaltem Lindentee, pohača und und und. Dann ging es los. Gen Berg. Franci, Mojca und Horst frönten vordergründig ihrer Sangesfreude. Metka hielt - mit Schwermut - gehörigen Abstand, um die Katzensilberhäkchen behutsam zu verteilen.
Als sie an der beabsichtigten Stelle ankamen, hieß die Mutter Horst und Metka Reisig für ein Feuerchen zu sammeln. Sie trugen es zusammen, einen kleinen Berg hoch. Das Reisig wurde angezündet und als die Flamme brannte wie Heimatliebe, sagte die Mutter: »Metka, leg’ Dich ins..., äh, zum Feuer, mach’ es Dir schön und warte auf uns! Wir werden den Tag über arbeiten und holen Dich dann.« Das Mädchen tat als ob es nichts wüsste und streckte sich folgsam im Berggras aus.
Den Tag über blieb es beim Feuer, weil es nicht wusste, ob die Eltern und der Bruder vielleicht aus sicherer Entfernung beobachten würden, was es so unternimmt. Dann wurde es zunächst dämmerig, später finsterer und schließlich finster. So finster wie manchmal in diesem Land. Nun war es überzeugt, die Ihren seien längst zuhause, weshalb es sich auf den Weg machen konnte.
Metka nützte als kluges Mädchen die langen Stunden leidlich und dachte sich einen wunderschönen Plan aus. Ob er erfolgreich sein würde, wusste sie nicht. Sie wollte sich selbst auch nicht zuviel versprechen. Hätte sie jemand, wie es oft geschieht, gefragt, ob sie den Plan in der einen oder anderen Sprache ersonnen hatte, könnte sie die Frage nicht schlüssig beantworten. Jedenfalls wäre es kein leichtes, wie es auch schwer wäre, zu sagen, in welcher Sprache sie träume.
Wie auch immer. Metka arbeitete sich aufmerksam zum ersten Haček, der gut auf ein Č gepaßt hätte, vor, und folgte dann den anderen, den vielen Š und Ž.
Als sie nach Stunden zum »Eltern«haus kam, ging sie schnell daran vorbei, weil sie auf dem Weg in die Landeshauptstadt war. Wieder Stunden später, es war mittlerweile Morgen, kam Metka in der Stadt an. Geradewegs ging sie in die erste Buchhandlung mit Werken in der zweiten Sprache und dort schnurstracks auf die Klassiker zu. Sie nahm ein Buch nach dem anderen aus den Regalen, überflog in diesem und einem anderen ein paar Seiten, las quer, schmökerte, studierte adagio, vertiefte sich, verwarf auch etwas, irgendeinen weinerlichen Landsmann halt, und entschloss sich schließlich zum Kauf eines Buchs, das ein schönes Lesebändchen hatte, in rotes Leinen gebunden war und fast zweihundert Seiten umfasste.
Darauf verließ sie die Buchhandlung, seufzte, atmete tief durch, sah sich auf dem Hauptplatz das weithin bekannte Denkmal der Stadt an, machte mit neuer Kraft kehrt in südliche Richtung und begab sich wiederum auf einen Weg. Dieses Mal in Richtung des großen Tals. Es dauerte Stunden bis zur Rückkehr. Jetzt war sie schon ein bisschen müde und erschöpft.
In das Elternhaus war offensichtlich bereits der einsprachige Alltag eingezogen, weil Metka nicht zuhause war. Fast war es traurig, dass die zweite Sprache mit einer solchen Geschwindigkeit ausgestorben zu sein schien.
Metka fasste allen Mut, holte wieder tief Luft, lief im Gesicht ein bisschen rot an, ohne zu wissen, warum, und überschritt die Schwelle. Schon beim Eintritt, sozusagen zwischen Tür und Angel, platzte es aus ihr heraus: »Bevor ihr mich noch einmal und dann wohl endgültig aussiedelt, gebt mir eine Viertelstunde. Mehr werde ich nicht brauchen.«
Die Eltern wollten, da sich ihre Herzen doch ein bisschen rührten, Metka nicht gleich vertreiben und nickten halbherzig. Metka fing nun an, eine Geschichte aus dem Buch, das sie in der Stadt mit der größten Liebe ausgesucht hatte, mit ganzer Inbrunst zu lesen.
Sie las die erste, zweite und dritte Minute. Hatten die Eltern zuerst weggehört, waren sie dann doch halbherzig dabei und hörten zum Schluss mit ganzem Ohr zu. Als Metka die Geschichte zuende gelesen hatte, verstanden die Eltern, was sie versäumen würden, wenn es diese und andere Geschichten nicht mehr geben dürfte. Und letztlich war es die Mutter, die bereits mit einiger Überzeugung sagte: »Dvojezično je le bolje!« Was soviel heißt wie Zweisprachig ist doch besser!
Pugrad/ Podgrad, im Oktober 2004