Objavljamo besedilo predavanja, ki ga je imela dr. Dora Leon na deželnem društvu nemških inženirjev in tehnikov v Gradcu 1. aprlila leta 1922. Ferdinand Wittenbauer je eden od vidnejših Mariborčanov, ki je ob akademski karieri tudi pisal
Vortrag, gehalten am 1. April 1922 im steiermärkischen Landesverein Deutscher Ingenieure und Techniker von Dr. Dora Leon. Graz 1922. Verlag des steiermärkischen Landesvereines Deutscher Ingenieure und Techniker, Graz, Sackstraße 12. Druck von Hans Bertschinger, Graz.
Vorbemerkung.
Ferdinand Wittenbauer, geboren am 18. Februar 1857 zu Marburg, ist am 16. Februar 1922 in Graz an den Folgen eines Schlaganfalls verschieden. Er war Professor der Mechanik an der Technischen Hochschule in Graz und ist den technischen Kreisen durch Arbeiten auf dem Gebiet der Kinematik und Dynamik starrer Körper, der Elastizitätslehre, auch durch seine vielverbreiteten »Aufgaben aus der technischen Mechanik« rühmlichst bekannt. Wittenbauer hat die ersten eigentlichen dynamischen Methoden zur Untersuchung der Getriebe ausgearbeitet. Das Erscheinen des »Lehrbuches der graphischen Dynamik“ steht unmittelbar bevor. Der Forscher konnte dieses bedeutungsvolle Werk vor seinem Tode noch abschließen.
Das reiche Innenleben Wittenbauers fand aber auch seine Auswirkung in einer Reihe reizvoller Dichtungen epischer und dramatischer Art, die in technischen Kreisen teils unbekannt, teils außerordentlich unterschätzt sind, über welche der folgende Vortrag eine Übersicht bietet.
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Die meisten von meinen geehrten Zuhörern sind dem zu früh dahingeschiedenen Gelehrten und Dichter Ferdinand Wittenbauer in vieler Beziehung nähergestanden als ich. Eine ganze Anzahl der Anwesenden kann ihn infolge des verwandten Faches im Gebiete der Mechanik verständnisvoller einschätzen und ehren; andere wieder stehen ihm seit Jahren persönlich nahe oder doch näher als ich, die hier Heimatfremde.
Wenn ich es trotzdem als eine erwünschte Ehre empfinde, heute vor Ihnen über Wittenbauer zu sprechen, so hat dies darin seinen Grund, dass mir als Literarhistorikerin der Dichter Wittenbauer vertraut war, ehe ich von seiner großen Bedeutung als Gelehrter wusste; ja, dass uns Wiener Literaturfreunden Wittenbauer als einer der interessantesten und gedankenschärfsten Steirer Dichter galt.
Wir waren es gewohnt, seit dem großen Peter Rosegger Hochwertiges aus der Steiermark zu erwarten, die in ähnlicher Weise wie vordem die Schweiz auf einem literarischen Höhepunkt stand. Immerhin war der Theater-Erfolg des »Privatdozenten« in Wien — wie auch in anderen größeren Städten — ein außerordentlicher und der Grazer Autor wurde während seiner Anwesenheit bei Fest- und jubelausführungen auf das herzlichste gefeiert.
Die Wendung zum Drama hat übrigens Wittenbauer erst in späteren Jahren vollzogen. Um sein Schaffen und dessen Entwicklung zu überblicken, müssen seine früheren epischen und lyrischen Werke nach Stoffkreis, Inhalt und Ideen betrachtet werden.
Nach dem geistreichen Bierulk »Flaschenzug und Zirkelspitze« erschien das erste größere Werk 1896 (in 2. Auslage 1906): »Der Narr von Nürnberg«, ein Lied aus deutschem Mittelalter.
Es ist ein »Hohes Lied« von Liebe und Treue, von höchstem Opfermut und schmerzlichstem Entsagen.
Alles fast hat dem armen Burschen, dem Narren von Nürnberg, das Schicksal versagt: Die Schönheit des Körpers, die Ehrlichkeil der Geburt, Heimat und — Gegenliebe für seines Herzens brennende Glut. Doch siegreich triumphiert über alles Elend sein gottbegnadeter Geist und führt ihn empor zu höchster, selbstentsagender Sittlichkeit und zu übermenschlicher Kraft erlösenden Mitleids.
Als Schulmeister, Hofnarr, Gaukler schlägt er sich durchs Leben, gern gesehen und wohl gelitten als schreibkundiger Helfer der Leute des Volkes, als lustiger Verse und Schwänkeschmied; gebannt aus Nürnberg, weil er der ehrsamen Bürgerjugend allzu freie und moderne Ideen und Lehren gab, zieht er dem seltsam schönen braunen Hindukind Imre nach, das als fahrende Gauklerin nur durch seine Hut vor der liebestollen Nachstellung des Soldatenvolkes gerettet wird; doch verliert er Imres Liebe an seinen ihm unbekannten Halbbruder, den strahlenden Junker Heini. Die Mutter findet er wieder in Heinis Mutter, die unter schwerer Selbstanklage sündhafter Jugendliebe leidet, den Vater entdeckt er im wilden Waldgebirge, als einen eben wegen seiner unerlaubten Liebe zu des Narren Mutter geblendeten Mönch; dem hatte einst ein Mägdlein — es war Imre als Kind — die Tropfen eines Gifttrankes gereicht, der ihn alles Leid vergessen machte.
Und jenen heilsamen Lethetrank braut Imre nun auch für den Narren, damit er seiner Liebe zu ihr vergäße und ihre Schuld sich mindere. Doch Heinis und des Narren Mutter bemächtigt sich des Trankes, leert das volle Krüglein und findet so den Weg in das süße Dunkel des Todes, nachdem der Narr in seines Herzens tiefster Güte ihr noch zwei heilige Freuden geschenkt hat: Nicht sich, den mißgestalteten Gaukler, hat er erkannt als den Spross jener unerlaubten Liebe: von einem Helden log er der Mutter, der im Heldentod eines Kreuzzuges ehrenvolle Sühne gesucht und gefunden für seines Daseins dunkle Schuld.
Und zu dem blinden Heiligen hatte der Narr sie geführt, der ihr — ohne jedes Erinnern an einstiges Lieben und Fehlen— aus der Tiefe seiner geläuterten Menschenliebe Verzeihung ihres Fehltrittes und den ewigen Frieden verhieß.
Aber hat auch der Narr -von eines herrlichen Sohnes Heldentod gefaselt, sein eigen Ende ist menschlich tiefer, größer, erschütternder als jeder ehrenvolle Heldentod:
Imre und der blinde Mönch, in dessen Gebiet die Giftpflanze des Vergessens wächst, werden des Mordes an Heinis Mutter bezichtigt. Der Narr folgt ihnen in Nürnbergs gefährliche Mauern und in den Kerker. Imre verhilft er zur Flucht mit dem Liebsten, den armen sterbenden Vater aber erwürgt seine Hand, ehe die Henker ihn zur Folter schleppen. Sich selbst’ erhängt er an Imres Gürtel.
Kaum kann etwas Selbstloseres, Gütigeres gedacht werden als jener Narr, der seiner Mutter den Schmerz des Erkennens spart trotz aller Sehnsucht des eigenen Herzens, der seinen armen Vater mit harter Hand erlöst, sein Liebstes dem Leben und dem glücklicheren Bruder schenkt.
Die Szenen süßester Liebesschilderung wechseln mit herzzerreißenden Bildern der Tragik und mit reizenden Szenen voll neckischer Reize und überquellenden Humors.
Ähnliche Wege ging Wittenbauer in der 1900 erschienenen Liebesmär aus dem Odenwald; Das Gispele (2. Auflage 1906).
Gispele, wie der Spottname des weltunkundigen Jünglings heißt, ist Lenhard aus Miltenberg, dem reizenden Städtchen an der Müde im Maingebiet, im Odenwald.
Ist im Narren von Nürnberg die Zeit gewählt, in der dunkler Aberglaube, Hexenwahn und Folterqual noch kaum von Reformideen berührt sind — Luther ist noch ein Kind — so spielt das Gispele in der Zeit, in der Luthers Lehre schon, wenngleich vielfach heimlich, ihre Wirkung übt.
Der Mittelpunkt der Handlung ist ein vielgebrauchtes Motiv, das der bedingten Erbschaft.
Großartig aber ist die Kunst, wie Wittenbauer diese harmlose Geschichte psychologisch auswertet und vertieft, wie er in schwerem Ernst und wirbelndem Humor die Erlebnisse des Gispele erzählt, der — will er das Erbe nicht an die Kirche und deren sorglich aufpassenden Miltenberger Seelenhirten verlieren — vor seinem 20. Geburtstage geheiratet haben muss; wie er endlich nach endlosem spannenden Hinhalten des Lesers buchstäblich in letzter Stunde im Hafen der christlichen Ehe und in den Armen des einzigen selbstlos liebenden Mädchens landet, ist voll Zartheit, Gemütstiefe und Schalkhaftigkeit.
Neben dieser Haupthandlung gehen noch andere ernste und heitere, reine und sündige Liebesepisoden. Im Hintergründ der Handlung stehen die historischen süddeutschen Bauernaufstände, besonders der durch Goetzens vierwöchige Führung bekanntgewordene Odenwälder Aufstand. Wittenbauers Gestalt des Götz hält ausgezeichnet die Mitte zwischen der uns vertrauten Goetheschen — immerhin stark idealisierten — Götz-Figur und dem historischen Helden mit der eisernen Hand.
Eine weitere Verserzählung fällt in das Jahr 1902 (bzw. 1906): »Die Hübscherin und ihr Gärtlein«. Unter dem Bild eines Allerseelennachtstraumes wird das Schicksal eines treulos verlassenen Mädchens dargestellt, das ihrem vaterlosen Kinde zuliebe der schwereren Sünde anheimfällt, einen ungeliebten Mann zu ehelichen.
Der nimmt ihr das über alles geliebte Kind aus Eifersucht weg, da geht sie von ihm, in der Welt ihr Kind zu suchen und sinkt völlig in sittliches Verderben, sodass ihr sündiges Leben selber ihr das Anrecht nimmt auf ihres Kindes Liebe.
Was den sittlichen Wert dieses düsteren Buches ausmacht, ist der sozial höchst wichtige Gedanke des verstehenden Mitleids auch für den Abschaum des Frauendaseins, ein Gedanke, der in anderen Formen sich in Goethes »Gott und die Bajadere« und bei dem Inder Rabindranath Tagore findet, und an dem auch die geistig und sittlich hochstrebende Frau unserer Tage nicht vorübergehen dürfte auf dem Wege sozial-ethischer Erziehungsarbeit.
In die schon besprochenen Jahre fallen zwei Büchlein mit kürzeren Abschnitten: 1897 und 1906 die Schelmenlieder »Jung-Unnutz«.
In der Art der Lieder fahrender Gesellen, verbummelter Studenten also, sammelt Wittenbauer Ernstes und Übermütiges, bitteren Ernst oft unmittelbar neben leichtem Spott und scheinbar leichtfertiger Lebensweisheit.
Ich lese das Charakteristischste, das die Schicksale von Forschern und Helden der Gewissenspflicht anknüpft:
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Der im folgenden Gedicht besprochene Italiener kann der 1600 verbrannte Giordano Bruno oder auch der ein Jahrhundert früher getötete Savonarola sein, dessen Leichnam verbrannt wurde.
Der zweite ist Johannes von Nepomuk.
Bei dem »Franken« können wir an ein Opfer der Revolution denken, an den Chemiker Lavoisier oder den Astronomen Bailly; beide Lösungen befriedigen aber nicht sehr.
Der vierte endlich ist Johannes Kepler, der zwar kein Österreicher von Geburt war, den aber doch Österreich hat verhungern lassen.
Vorsicht.
Lieb Mütterlein, daß ich ein Unnutz bin
Raubt Deinen Nächten die Ruh’?
Ach, schlag Dir die Plane aus Herz und Sinn —
Horch einmal zu:
‘s war einer in Welschland, ein Feuermund,
Der hatte die Wahrheit erkannt,
Er donnerte los wie ein Höllenschlund —
Man hat ihn verbrannt.
Ein Frommer in Böheim, der war fein klug.
Hat niemand mit Wahrheit gekränkt,
Er sagte selbst das nicht, was man ihn frug —
Man hat ihn ertränkt.
Ein Weiser in Franken hat mutig und keck
Am Borne der Weisheit geschöpft,
Dozierte den Leuten die Bäuche leck —
Man hat ihn geköpft.
Ein Braver in Ostreich sah fleißig zu,
Wie die Sterne am Himmel lungern,
Er ließ seinem Hirne nicht Rast noch Ruh —
Man ließ ihn verhungern.
So geht’s den Tröpfen, die ohne Scheu
Den Sinn nach Hohem gelenkt;
Tat ich was schaffen — bei meiner Treu,
Ich würde gehenkt.
Lieb Mütterlein, ward ich ein großer Mann,
Kein Stündlein wärst Du mehr froh;
Ich bleibe ein Unnütz, so lange ich kann —
‘s ist sicherer so.
Man sieht, dass Wittenbauer auch bei einfachen Scherzgedichten an den Verstand des Lesers Ansprüche stellt.
Kunstlos in der Form, aber sprühend von Humor ist das 1901 erschienene Büchlein: »Schnabelwetze«.
Den Titel erklärt das erste Geschichtchen: So lange muss ein winziges Vöglein von den Torheiten der Menschen berichten, bis es einen ungeheuren demantharten Fels spurlos zum Verschwinden bringt, an dem es sich — alle Jahrhunderte ein einziges Mal — sein Schnäblein wetzt. Doch enthält der Titel gleichzeitig Ironie in ihrer höchsten Form: Selbstironie. — Auch der Dichter gestattet sich — den Schnabel zu wetzen.
Nur Menschen, die fern sind von Kleinlichkeit, beherrschen diese köstliche und beglückende Kunst der Selbstironie. Sie sind ganz unverletzlich, denn was immer ihnen die Mitwelt vorwirft, sie haben es an sich beobachtet und sich selber herzlich ausgelacht mit jenem befreienden Lachen, das sie über sich selbst hinaushebt, nicht nur über die Mitmenschen.
Wittenbauer ist ein Meister in dieser Kunst der Selbstironie. Mit welchem behaglichen Lachen erzählte er im Gespräch, dass die Techniker achselzuckend über ihn sagten: »Ach, der Wittenbauer — das ist ja ein Dichter!« und die Literaten: »Der Wittenbauer? — — das ist ja ein Mechaniker!« Und wir lachten alle und wussten so gut wie er selber, dass die rechten Fachleute auf beiden Gebieten gar wohl einschätzen konnten, was sie von ihm zu halten hatten.
Nicht nur, was Wittenbauer selbst nahesteht und ihm teuer ist, verspottet er mit erquickender innerer Wahrhaftigkeit und köstlicher äußerer Übertreibung.
Alle Zeiterscheinungen — heute oft überlebt oder überboten — nimmt er aufs Korn: die Sezession in der bildenden Kunst und in der Dichtung (»Weltuntergang«, »Der stotternde Stieglitz«), den Bergsport, sofern er aus Wagestücke und Rekordleistungen eingestellt, die Naturwunder zu wenig beachtet (»König Laurins Rosengarten«), die Übertreibungen der Tierschutzbewegung, die den Menschen der Tierwelt aufopfert (»Die Letzten«), die Exaltation verfehlter Mutterliebe (unter diesem Titel), die Ordensverleihungen en masse (»Das Gestöber«).
Endlich hat er unter dem Titel »Die heilige Sprache« in witziger Darstellung gegen das Lernen der toten Sprachen Partei ergriffen, ein Gegenstand, über den man gewiss anderer Meinung sein kann, ohne die köstliche Satire auf Bildungsdünkel im allgemeinen zu verkennen, die schließlich in der Rüge des Meisters an den Schüler gipfelt:
»Dummkopf! Das ist ja eben der feine Unterschied des Gebildeten vom gemeinen Pöbel: dieser lernt nicht, jener vergisst!« — — —
Sehr schlecht kommen bei Wittenbauer die Frauen weg, und besonders jene, die sich zum Hochschulstudium drängen. In der Satire »Herr Walter von der Vogelweide« erzählt der Kreuzschnabel dem Minnesinger über uns arme Blaustrümpfe: »Das ist eine ganz besondere Rasse, halb Mann, halb Weib, aber eigentlich keines von beiden. Sie tragen das Buch unter dem Arm und den Geliebten im Herzen, den bekommen sie aber nicht und da studieren sie. Mir tun die armen Dinger leid; aber wer anders sollte in der jetzigen Zeit studieren? Die Männer gehen lieber in die Kneipe und füllen sich das Gehirn mit Bierdunst«.
Dieses Merkmal des Deutschen, »beim stillen Trunk sich und die Welt zu vergessen und im Wettkampf der _ Nationen trotz aller Charaktertugenden und Tüchtigkeit zurückzubleiben«, behandelt Wittenbauer unter dem Bild des Bauernknechtes »Michel«, der von seinen Mitknechten, dem tschechischen und ungarischen, ausgenützt und betrogen wird und sich doch mit größter Gutmütigkeit immer wieder zu unablässigem »Mistführen« verwenden lässt.
Besonders aber verargt er die — ja heute stark Zurückgegangene — Sumpferei der Studentenschaft. Die Heiligkeit der Wissenschaft, die Ehre der Studenten, der Hochschule wollte er in allen Lagen festgehalten wissen. Ob er im Ernst oder im Scherz auf diese Dinge zu sprechen kam, da wurde er eindringlich, sein Witz wurde schlagender, schärfer, oft bitter. Schwächen in akademischen Kreisen waren ihm mit Recht schwerer erträglich als bei ihm ferner Stehenden.
In witzigster Art schildert und übertreibt er einen Kneipabend, den der Student Muki, wie er zum zehnten Male vom Staatsexamen zurücktritt, sich zu Ehren veranstaltet.
Der Titel des Scherzes »Der Tautropfen« bezeichnet den Inhalt eines drei Liter fassenden Humpens, der als Rekordtrunk geleert werden soll. Doch die Studenten haben des Guten genug getan, sie wagen’s nicht mehr.
Da erscheint plötzlich der Bürgermeister Nusch, der einst durch einen imponierenden Meistertrunk im dreißigjährigen Krieg den Kroaten derartigen Respekt eingeflößt hatte, dass sie von des Bürgermeisters Vaterstadt Rothenburg an der Tauber abzogen.
Nusch leert nun unter den begeisterten Heilrufen der Studenten anstandslos den »Tautropfen« und hält seinen jungen Landsleuten folgende treuherzige Rede:
»Meine lieben und ganz wackeren jungen Freunde, Ihr habt (itzt) jetzt mit eigenen Augen gesehen, wasmaßen ich saufen kann, aber ich bitte Euch freundlich, macht es mir nit nach. Es ist wohl also gewesen, daß ich denselbigen Meistertrunk getan; damals galt es, mein Vaterstadt zu resolvieren. Selbiger Trunk war ein ‘wacker Tun — ich hätte mich auch leichtlich zu Tode versoffen, so es mein Vaterland nit anders von mir verlanget hätte. Aber Euch, meine ganz lieben Jungens, steht das wenig an; Ihr resolvieret kein Vaterland, wenn Ihr so über die Maßen saufet, Ihr untergräbt höchstens das Wohlbefinden Eures Leibes und schädigt den Säckel Eurer verehrungswürdigen Eltern. Euer Saufen allhie ist kein wacker Heldenstücklein, sondern ein bitter Laster; Ihr werdet dafür auch keine Denktafel einheimsen, sondern höchstens das Zipperlein oder den Schwamm im Gehirn und andere böse Säst. Nit männiglich kann unserm alllieben teutschen Volk in gleicher Weis sich angenehm und nützlich zeigen. Der eine tut sein Teil, indem er sich schier gar besinnungslos versauft — in dieser sonderbarlichen Lag war ich, der Nusch, es hat mir aber nit über die Maßen geschmecket. Ein anderer geht hin und lasset sich fürs Vaterland erschießen — ich wollt Euch das in keiner Weis an den Leib wünschen, aber es kunnt leicht sein. Ein dritter endlich erweiset sich seinem teutschen Volke nützlich, daß er sich mannhaft und tüchtig bewähre in jeder Lebenslag und Kopf und Herz daran setzet, ein säuberlich Werk fein vorwärts zu bringen. Und tut auch nur jeder ein Kleines, wenn’s nur was Rechtes ist — zusammen gibt’s doch was Großes. Ich meine nun in Treuen, der dritte Fall sollt der Eure sein. Ihr sollt teutsch sein durch und durch — aber nit nur mit dem Magen, sondern auch mit dem Herzen, ganz sonderlich aber mit dem Kopfe. Ihr sollt nit nur teutsch sausen, sondern auch teutsch handeln. Auf das hin will ich da drunten in meiner Grube noch solch ein Tautröpflein in mich träufeln lassen — mir zum Wohle und Euch zu billiger Einkehr. Gott besser’s!«
Wittenbauer hat leider richtig prophezeit; mancher hat sich erschießen lassen müssen für’s Vaterland. Und sollen sie nicht ganz fruchtlos verblutet sein, so gilt heute mehr denn je für alle Stände, alle Alter(sgruppen), alle Bildungsstufen die Mahnung, dass nur Leistung, Höchstleistung, Arbeit und härteste Pflichterfüllung erweisen können, dass wir noch echte rechte Deutsche sind, die nicht nur mit Herz und Mund, sondern mit unserem ganzen Wollen und Können für unser armes deutsches Vaterland eintreten.
Nach der Jahrhundertwende hat sich Wittenbauer einem neuen Schaffensgebiet, der dramatischen Dichtung, zugewendet, die ihm die größten äußeren Erfolge brachte, ihn weit über Österreich hinaus und einem breiteren Publikum bekannt machte, daß (welches) meist nichts von seinem Gelehrtenruf wusste; weshalb ist ihm draußen in der Welt auch das Schicksal erspart geblieben, dass sein Gelehrtenruf den des Dichters in den Schatten stellte.
Das erste Stück — von kleineren Gelegenheitsstückchen abgesehen — war die »Filia hospitalis«. Literarische Traditionen verschiedener Art leben, neu gestaltet und verknüpft, seelisch vertieft und zu Problemen verdichtet, vor uns auf.
Die Filia hospitalis selber wird im Studentenlied in aller Art besungen. Sie ist die inaequalis. die Unvergleichliche; sie wird in einem andern Lied »Oh, wonnevolle Jugendzeit« gefeiert durch den Kehrreim
»Und keine ist so nett, so sein?
Als meines Wirtes Töchterlein.«
Sie ist literarisch verschüchtert mit der »Lindenwirtin, der jungen.« Sie ist der Typus für die Erfüllung junger Sehnsucht nach einem stillen Hausmütterchen, das frisch und flink für das häusliche Behagen des heimatfremden Studenten sorgt.
Bei Wittenbauer ist Marianne die Nichte der Hauswirtin; ernster und gemütstiefer als die Episodenfigur Mizzi, das harmlos fröhliche Studentenliebchen.
Still und zurückhaltend zaubert sie in sorglichem Walten das Gefühl heimatlichen Geborgenseins in die Bude der Studenten.
Nicht nur die Gestalt, die dem Stücke den Namen gibt, auch die Gattung des Studentenstückes selbst hat eine lange Vergangenheit und wird natürlich ebenso noch neue Entwicklungsformen in der Zukunft haben.1
Im 17. Jahrhundert hat der talentvollste Dramatiker Andreas Gryphius in »Cardenio und Celinde« die Geschichte einer Studentenliebe auf die Bühne gebracht und der Romantiker Achim von Arnim hat den Stoff — ein Jahrhundert vor Wittenbauer — in dem Studentenspiel »Halle«, beziehungsweise »Halle und Jerusalem« in interessanter psychologischer Ausgestaltung, doch völlig unaufführbare Form bearbeitet. Schon hier wird dem Zauber des Studentenlebens, dem jugendfrischen Lied und den studentischen Gebräuchen eine breitere Schilderung gewährt. Seitdem sind Studentenszenen aus dem deutschen Theaterstück nicht mehr verschwunden: bei Benedix im »Bemoosten Haupt« und den »Relegierten Studenten«, bei Suppé in der Operette »Flotte Bursche«.
Den größten äußeren Erfolg der jüngeren Zeit hatte Meyer-Försters »Alt-Heidelberg«, das seine Bühnenberühmtheit den Äußerlichkeiten nachgeahmter Burschenherrlichkeit verdankt. Es ist die Heinesche alte Geschichte, die doch ewig neu bleibt, die Liebesgeschichte, in der sie sich nicht Kriegen, die eine wenig anstrengende Rührung verursacht. Infolge der inneren Unwahrheit und Belanglosigkeit der Vorgänge und der Personen — der einer Marlitt oder Courth-Mahler würdige Erbprinz darf nicht fehlen — geht diese Rührung kaum unter die Epidermis der Zuschauerseele und nach ein paar Mitleidstränen des eigenen inneren Gleichgewichtes doppelt froh, geht man erquickt nach Hause.
Wie ganz anders Wittenbauers Stück! Der große Bühnenerfolg (1. Aufführung Wien 1906, also nach dem Privatdozenten), der auch diesem Stücke zuteil wurde, ist freilich zum Teil dem erinnerungsfrohen Studentenmilieu zuzuschreiben, die literarische Bedeutung liegt aber in anderen Werten.
Hier, wie in den späteren Stücken, hat Wittenbauer das banale Motiv des Sich-Findens oder des Scheidens und Meidens, das Um und Auf des Durchschnitts-Theaterstückes, in den Hintergrund geschoben und andere Probleme in den Vordergrund gerückt.
Auch bei denen, deren Namen unsterblich sind — ich nenne nur die Nächstliegenden: Schiller, Goethe, Grillparzer, Richard Wagner, Ibsen — ist das Liebesmotiv zu Gunsten höherer ethischer Fragen zurückgedrängt. Innere Freiheit, Menschenwürde, Wahrhaftigkeit, reine mitleidsvolle Menschlichkeit statt Konvention und Korruption sind die Ideen der genannten Großen.
Und solche Motive beschäftigen auch Wittenbauer.
In der »Filia hospitalis« tötet der wissenschaftlich vielversprechende Doktorand Ulrich, ein im Pauken ungeübter Finke, in einer scharfen Mensur den zynischen Kollegen Bleß, der die von Ulrich innig verehrte Marianne, die Filia hospitalis, beleidigt hat. Weit über das in der Literatur übliche Studentenstück hinaus führt uns die Verzweiflung des unglücklichen Ulrich, seine ihm durch den Freund und durch Marianne aufgezwungene Flucht und seine ehrenhafte Rückkehr zu Verurteilung und Gefängnis, sobald er erfährt, dass sein verehrter Lehrer Engel sich für sein Bleiben verbürgt hat.
In klarer und sachlicher Objektivität lässt Wittenbauer die Frage über Vor- und Nachteile der Couleur vollkommen in Schwebe und arbeitet die rein menschlichen Konflikte scharf und klar umrissen aus.
Auf akademischen Boden führt uns auch Wittenbauers allbekanntes und erfolgreichstes Stück »Der Privatdozent«, das nach seiner Uraufführung ‘in Dresden (11. Februar 1905) auf allen größeren deutschen Bühnen einen nachhaltigen Eindruck machte und hohe Aufführungsziffern erreichte. Das Stück fällt in das Kampfgebiet der Schulreform. Seit 1866 kamen die Forderungen nach Hebung des Schulniveaus auf allen Stufen auch in Österreich nicht mehr zur Ruhe. Gleichzeitig baute man draußen im Reich an dieser Frage unermüdlich weiter.
Dieses allgemeine öffentliche Interesse fand endlich auch sein Echo auf der Bühne. Hatte man vor dem 66 er Kriege nur possenhaft gezeigt, wie die lustige Jugend den unfähigen Lehrer und Inspektor anulkt, so finden wir in dem um 1900 austauchenden Schulstück ganz andere Tendenzen ernstester Art: Otto Ernst hat im »Flachsmann als Erzieher« den guten und den schlechten Lehrer der Volksschule einander gegenüber gestellt, Max Dreyer im »Probekandidaten« die Treue zur wissenschaftlichen Überzeugung selbst auf Kosten der Existenzmöglichkeit beim Mittelschullehrer gefeiert. Wittenbauer hat das ihm vertraute Milieu der Hochschule beibehalten und sich durch das Stück einen Ehrenplatz in der Geschichte des deutschen Dramas gesichert.
Robert Arnold, Universität, Wien, sagt darüber:
»Als Milieustück muss dann auch Wittenbauers höchst erfolgreiches Stück »Der Privatdozent« bezeichnet werden, in dem sich die Traditionen des Schul- und des Universitätsdramas derart vereinigen, dass der Hochton nunmehr von den Hörern auf den Lehrkörper verschoben und dieser letztere genauso kritisiert wird, wie in den Schuldramen der Dreyer und Otto Ernst. Der Mut, den der Verfasser, selber Hochschullehrer, in der Darstellung akademischer Protektionswirtschaft, in der Zeichnung des Strebers Lukanus bekundete, bleibt ihm unvergessen. Den großen Erfolg dankt er doch nicht bloß solcher Gesinnungstüchtigkeit, sondern dem Milieu-Interesse, das diesmal statt durch Lehrerkonferenz oder Studentenkneipe durch eine Kommissionssitzung befriedigt wurde. Die Tragik des Geologen Obermayer, aus dessen Ehrenscheitel Wittenbauer alle edlen Qualitäten häufte, ist in erster Linie die des hoch- und reingesinnten akademischen Lehrers, nur in zweiter Linie und ganz beiläufig die des Gelehrten.«
Eine sehr schöne Würdigung hat »Der Privatdozent« auch gleich nach der Erstaufführung durch den damals 70 jährigen namhaften Literarhistoriker Adolf Stern erfahren, der Professor für deutsche Literatur an der Dresdner Technischen Hochschule war.
Die einfache Handlung, dass ein gewissenloser Streber einen bedeutenden Menschen in irgendeiner Beziehung beiseiteschiebt. Dass er die gefälligen Formen gesellschaftlichen Verkehres beherrscht, beachtet und ausnützt, ist eine alltägliche Sache und kommt in jedem Berufskreise vor.
Übrigens will Wittenbauer den Obermayer nicht als das Ideal des fertigen Hochschullehrers darstellen; dazu ist der wirklich zu dickköpfig und unreif; nur prachtvolle Anlagen sind in ihm. Auch der durchaus ehrenhafte, aber maßlos grobe Prutz soll nicht das Wünschenswerte darstellen; er ist ein Sonderling mit leicht komischen Zügen, der technisch im Stück die Aufgabe hat, auf Missstände in wissenschaftlichen Kreisen mit wirksamer und faustdicker Übertreibung hinzuweisen. Das Ideal ist überhaupt nur angedeutet. Es ist der abgeklärte Professor Lendenberg und seine kluge vornehme Frau. Guten Willens ist auch der alte Kellersheim, der Vater der Dozentenbraut, doch gehört er zu der großen Gruppe von Menschen, die sich selbst betrügen, um ohne inneren Vorwurf das ihnen Nützliche zu wählen. Die übrigen Figuren weisen Licht- und Schattenseiten in prächtiger und lebenswahrer Zeichnung auf.
Gleichfalls aus beruflichen Anregungen ging Wittenbauers soziale Komödie »Der weite Blick« hervor. Wie Max Eyth behandelt er hier speziell Fragen des Ingenieurstandes. »Der weite Blick« ist eine ungeheuer unterschätzte, ausgezeichnete Tragikomödie, welcher äußere Umstände beim Publikum geschadet haben.
Das Problem ist heute aktueller denn je. Mit weit weniger Laune wird heute in technischen, pädagogischen und zum Teil auch in medizinischen Kreisen unter dem Schlagwort »Versachlichung der Verwaltung« der Kampf gegen den Juristen als den bis vor kurzem allein möglichen Verwaltungsbeamten geführt. Es ist ein großer Irrtum zu meinen, Wittenbauer habe kein volles Verständnis für die hohen Pflichten und den nötigen Scharfsinn eines Richters gehabt, eines Staatsanwaltes, Verteidigers, Politikers, Volkswirtschaftlers. Auch den Juristen als Verwaltungsbeamten will diese Richtung nicht ausschalten, nur muss eben mit ihm Hand in Hand der Sachverständige des Spezialfaches arbeiten; und das war bis vor kurzem nicht der Fall, weil der Nicht-Jurist angeblich nicht über den erforderlichen »weiten Blick« — daher der Titel des Stückes — verfügte.
Die Handlung ist folgende: Der Held des Stückes, der Ingenieur Hammer, hat die Schwierigkeiten bei einem Lokalbahnbau durch einen geschickt in die Strecke eingebauten Tunnel beseitigt und die Rentabilität des Unternehmens gesteigert.
Die Bauernschaft um den Berg herum, durch das neue Projekt um ihre hochgeschraubten Grundpreise gebracht, hetzt einen Abgeordneten gegen Hammers Plan. Der Ingenieur muss, um sich den Schikanen des Amtsschimmels ‘ zu entziehen, die Arbeit im Tunnel forcieren. Er tut dies mit der größten Gewissenhaftigkeit, ist ununterbrochen selbst bei den Arbeiten zugegen, kann aber einen Wassereinbruch und ein Unglück im Stollen nicht verhindern.
Er verscherzt sich damit seine glänzende Zukunft und seine Jugendliebe, eine gefeierte junge Dame aus den einflussreichsten Kreisen.
Ähnlich wie für den Privatdozenten liegt auch seine Zukunft in einem stillen Schaffen, fern von den unsachlichen Einflüssen offizieller Persönlichkeiten.
Man hat dem Stück den Vorwurf gemacht, dass Hammers Forcierung der Arbeit leichtfertig sei. Dem ist gegenüberzustellen, dass solche Unfälle immer möglich sind und auch die bedeutendsten Tunnelbauer betroffen haben. Man hat eingewendet, eine Lokalbahn soll die Dörfer verbinden und nicht durch einen Tunnel von der Strecke ausschalten. Eine Lokalbahn ist aber nicht da, jedes Wirtshaus mit der Welt zu verbinden und jeden Grundbesitzer zu einem reichen Mann zu machen. Es gibt außerordentlich viele Lokalbahnen, welche Tunnels ausweisen.
Anstoß hat man auch genommen an der Gestalt des hundetreuen Katzelmachers, ein Faktotum, das sich Hammer vom Simplon mitgenommen hatte, weil er dort durch ein Unglück arbeitsunfähig geworden war. Es ist natürlich lächerlich, von jedem Italiener aus der Bühne Verrat, von jedem Tschechen Mauserei, von jedem Engländer Egoismus zu erwarten.
Wittenbauers prächtige komische Figur des Italieners hat genug charakterisierende Züge: seine Art zu reden, seine Leidenschaft fürs Mora-Spiel, sein Vergnügen am Gold und seine geschmeidige Pfiffigkeit. Diese Eigenschaft führt zum letzten Ulk der in kleinen und feinen Zügen so sehr gelungenen Komödie; das Faktotum bemächtigt sich während der infolge des Stollenunglückes ausgebrochenen Arbeiterrevolte der von Hammer unzureichend verwahrten Kasse, um sie zu retten, und versteckt sich mit seiner Beute an einem sichersten Platz im Keller der Gendarmerie- Kaserne. Nach Eintritt der Ruhe bringt er sie fröhlich grinsend seinem verehrten Herrn Hammer zurück.
Ganz anderer Art ist das 1909 erschienene Stück: »Ein Fremdling«. Es ist symbolisierend, eine Darstellungsart, wie wir sie so oft beim voll ausgereiften Dichter finden: bei Goethe (Faust H), Ibsen, Gerhart Hauptmann (Pippa); die Form zeigt freie Rhythmen. Der Fremdling ist der reine Urmensch inmitten eines verdorbenen Kulturlebens; das Stück spielt im Mittelalter.
Ein Fürstenhof im sonnigen Italien ersteht vor uns. Doch dumpf und schwer liegt Frevel auf dem Fürstenhaus. Schwermut drückt tief die junge Fürstin nieder. Kein Mittel weiß der Arzt.
Um sie herum prahlt frech die Sittenlosigkeit des Hofgesindes und streckt die Hände gierig nach der einzig reinen, der Fürstin Magd, der keuschen Radegundis.
Da bringt der Arzt von weiter Forscherreise als Heilkraft für der Fürstin kranken Sinn vom fernen fremden Stamm aus stein’gem Bergland den jungen Hirten Ristus mit. Seltsam ist er und seltsam seine Art: die Lüge kennt er nicht, noch Trug und List, die Waffen sind ihm fremd, rein ist sein Herz — ein reiner Tor, dies groß gewachs’ne Kind.
In stiller Nacht beim süßen Mondenschein bringt ihn der Hofnarr in der Fürstin Schlafgemach, es glüht und lockt die friedlose Sirene und seine Reinheit muss ihr Opfer sein.
Da naht der Fürst, verraten ist der Gast, des Gatten Grimm sucht den verführten Fremdling, der schuldlos schuldig ward, und der verborgen wird von Radegundis, die von ihm Rettung erhofft vom lastervollen Hofe.
Nach einer zynisch-bösen Szene mit dem Gatten sieht da die Fürstin, wie ein kleiner Nachen den Hirten, den als Spielzeug sie erlesen, hinträgt über den stillen See, und mit ihm zieht die reine Radegundis.
Da sendet sie mit sichrer Iägerhand den gift’gen Pfeil nach ihr und sieht verzweifelt ihn getroffen.— — —
In stiller Felsenwildnis finden wir Ristus und Radegundis. Heil ist die Wunde; aber Radegundis, die ihm das Gift aus jener Wunde sog, welkt wie die Blüte, die der Frost gestreift.
Da dringen in des Friedens Stätte der Fürst, die Fürstin und der Lasterhof. Der Fürst verlangt die Magd, will in mutwill’gem Scherze sie erkämpfen, man zwingt dem Hirten Schild und Waffe auf und, ungeübt im Kampf, gibt er dem Fürsten ohne Will’ und Absicht den Todesstoß. — Tot aber in der Hütte liegt die holde Radegundis.
Gefangen wird nun Ristus und im Kloster, wo weltlich und gottabgewandt die Mönche Hausen, soll er des Fürsten Totengruft zur Buße baun. Doch schwerer als die Frohn drückt seine Mordschuld den reinen Sinn.
Und wieder ist die Fürstin da. Nach seiner Reinheit dürstet ihre Seele. Doch schaudernd weist er sie von sich; da lodert heiß ihr Zorn. Will er geehrt an ihrem Hof nicht weilen, so soll er ihrer Laune Hofnarr sein.
Er bleibt allein in grübelnder Verzweiflung, voll Sehnen nach der reinen Radegundis — — —.
Es ruft das Volk nach seiner Festtagspredigt. Da steigt er, Rettung und Erlösung suchend, hinan zur Kanzel, predigt reine Lehre und lästert, die das Kleid des Herrn im Kloster tragen und doch so sündhaft sind. Als Frevler steht er an geweihter Stelle, das Volk, gereizt von einem Klosterbruder, wirft Steine gegen ihn und tötet ihn.
Er liegt verklärt, die Orgelklänge singen unter des blinden Klosterbruders Händen; Ristus ist tot — ums Haupt den Heil’genschein.— — —
Die Inhaltsangabe kann nur ahnen lassen, welche Welt von Poesie, von Sehnsucht nach Reinheit in dieser dramatischen Legende lebt.
Das große Publikum wird vielleicht noch schwerer mit dem Dichter gehen, als es das 1911 bei der Aufführung des »Dämon« tat.
Der »Dämon« ist das Morphium, dem der dichterisch hochbegabte Held des Stückes zum Opfer fällt, nachdem ihm die beiden Frauen, die ihn liebten, tragisch und geheimnisvoll im Tode vorangegangen sind.
Die Charakteristik der Personen ist scharf Umrissen und voll interessanter Gegensätze. Dein nervenzerrütteter Geie des Morphinisten steht der sonnige Freund gegenüber, der ernste, verlässliche Arzt, der schwache, etwas senile Vater, scheu und gedrückt durch des Sohnes Unglück.
Schärfer als sonst die zwei Wittenbauerschen Typen der liebenden Frauen sind in diesem Stücke auch die weiblichen Rollen Umrissen. Die kluge, opferbereite Schwester mit klarem Blick und ruhigem Zielbewusstsein, Sabine, die liebende Frau, selbstlos, opferfreudig, mutig bis zur Selbstvernichtung für ihre Lebensliebe. Nur das Lockende, Fesselnde, Aufregende und Interessante ist ihrer Natur versagt und deshalb verliert sie den innig Geliebten an die bedeutendere Frau, die Schauspielerin, die einst mit ihm geistig erlebte und schuf.
Die Grenzen zwischen der Traumwelt des Morphinisten und dem wirklich Realen des Lebens sind mit großer Kunst etwas verschwommen gehalten, was dem Durchschnittszuschauer Mühe verursachte. Wittenbauer war meines Wissens der erste, der diese geistvolle Mischung zwischen Phantasie und Wirklichkeit in diesem Grade auf die Bühne brachte. Unmittelbar nachher hat auch Molnars »Märchen vom Wolf« und Paul Apels ausgezeichnetes Traumstück »Hans Sonnenstößers Höllenfahrt« diesen Weg eingeschlagen und sie hatten in gleicher Weise wie Wittenbauer mit der Bequemlichkeit des Publikums zu Kämpfen. — — —
Mit einiger Mühe konnte ich der zwei wichtigsten ungedruckten Werke Wittenbauers habhaft werden.
Es ist ein Lustspiel, der »Antiburschius«, der in lustiger Art darstellt, wie Studenten (in der Napoleonszeit) des Philisters Antiburschius reizendes Töchterlein ihrem philiströsen Bräutigam abjagen und in die Arme des geliebten Studenten führen.
Das zweite, ein einaktiges Schauspiel »Die Ärztin«, Mai 1914 in Graz aufgeführt, hat in der tiefsten Weise das Problem der studierten Frau ausgefaßt. Wittenbauer deutet das an, wofür jede geistig hochstehende Frau in sich das Gefühl trägt. Soll die Frau im Dienste der Allgemeinheit — also z. B. als Ärztin — alle in ihr schlummernden Werte zur Auswirkung bringen, so muss sie alles Glück und Leid eines Frauendaseins in innerer seelischer Reinheit durchlebt haben und dann frei und unabhängig sein und bleiben.
Der literatur-historischen Forschung bleibt noch viele Arbeit an Wittenbauers Werken; ein Mann von seinem Geiste muss auch auf diesem Gebiete erst ausgeschöpft werden: hoffen wir, das ihm die nächste Zukunft auch ein Publikum gibt, das willig seinen Ideen folgt, dass sie nach seinem Tode voller zur Wirkung gelangen als zu Zeiten seines Lebens.
1 Vgl. A. F. Arnold: Geschichte des modernen Dramas. Stuttgart 1907, Verlag Trübner. S. 254 — 959.