Zahlen! Ein scharfer Laut zieht den Blick des Oberkellners an, unmißverständlich. Und dieser weiß: eine Zeit geht zu Ende, das Reich um Tisch sieben wird aufgegeben; die Kolonne addiert; die Konsummation aufgerechnet; alles was da war in dieser plüschenen Nische aus Traum und Erfahrung ersteht in wenigen Zahlen noch einmal für eine Kurzzeit der Erinnerung: ein Großer Brauner und ein Kipferl zum Anfang, zum Lesen der Neuigkeiten in den Zeitungen, ein Paar Würstel und ein Bier für die Gier in der Mittagshitze, und ein Glas Wein hinterher, das war das überraschende Treffen eines Bekannten - und der Espresso zeigt den Einstieg in seine Geschichte an, nur ein Stück weit erzählt, der Rest flattert in den Strömungen des Unausgesprochenen. 17 Euro und 50 Cent bitte. Der Ober hat gerechnet und nachgerechnet und mit dem Schwung eines Tänzers den Strich gezogen und den Bleistift angehoben, den letzten Blick gesetzt, und abgerissen wird das feine, schmale Blatt, mit runder Geste gesenkt und auf den Tisch gelegt. Zahlen! Eine Welt wird aufgegeben. Die Epoche eines Nachmittags ist zu Ende.
Der Ober Theo, der meine Jugend- und Lehrjahre im Wiener Kaffeehaus begleitete, hat mir knapp vor seiner Pensionierung eines seiner Geheimnisse verraten: er wußte alle Kombinationen der bescheidenen Liste von Speisen und Getränken auswendig, er kannte die Muster seiner Gäste und was sie wert waren, ein Kaukau und eine Buchtel, ein Mokka und ein Slivovitz waren zusammen (damals!) immer siebenundzwanzigfünfzig, >aber der Gast täts mir ja ned glauben, und wo kämen wir denn da hin, wenn ich ihm des ned vormach.« Ich wußte es. Zahlen! ist eine Zeremonie. Scheinbar beliebig, locker, doch strengen Regeln folgend. Sie wird ausgelöst durch dieses scharfe, die Stille und Behaglichkeit – ja Unendlichkeit – abschneidende Wort: Zahlen! ein ausländischer Freund versuchte es mit einem »die-Rechnung-bitte,« aber keiner hörte ihn, niemand nahm ihn wahr, kein Ober und kein anderer Gast; es war ein Nichtsatz, ein Reden mit sich selbst, da hör ma lieber weg.
Zahlen! Ich und du. Ich gebe dir etwas nach festgefügter Formel. 1 und 2. Die Zahl ist das Wesen der Abtrennung. 1 bin ich und 2 bist du und 3 ist die da drüben. Abzählen. 1 und 2 und Ordnung schaffen, Reihe machen, und eins und zwei und eins und zwei und drei und vier. Abtrennung ist Deutlichkeit und Deutlichkeit ist Unterschied. Unterschied ist Spannung. Und eins und zwei und eins-zwei-drei. Ist Rhythmus, und eins und zwei, ist Tanz und eins und zwei und eins, zwei, drei.(1) Und Tanz ist Vereinigung oder Kampf und eins und zwei und drei mal drei ist neun - und einen setzen wir darüber zum Herrscher. Halt!
Gibt es weibliche Zahlen? Als Kind habe ich geträumt, die Drei sei eine Frau und die Sechs und die Neun, alle hätten sie runde Arme, wie die Bäuerin, die mir am Morgen die Milch ausschenkte, und die Eins sei ein Mann, ein Männlein steht im Walde, auf einem Bein, und die Sieben? auch ein Mann, ein schreitender Zauberer, einer, der die Geschichte vorantreibt, das Neue erfindet, nein! sagte meine Mutter, die Sieben sei Hexenzahl, ist Frauengeheimnis, 3 und 3 und 7, das sollten meine Ziffern sein, die klingen nach Sonne, die brächten mir Glück, geheime Lottozahlen aus Träumen geholt; auf dem Heimweg vom Brunnenmarkt ging meine Mutter in die Trafik und setzte manchmal nur eine Zahl, Ambo, 3 Schilling 50 für einen Schein. Die Lateinlehrerin kam jeden Morgen mit dem 13er zur Schule, mit einer verwunschenen Straßenbahn, die fuhr wie sie hieß, auf gut Glück bergauf und bergab und um die Ecken viele Male, und wenn es schneite, blieb sie stecken. »Wo der 13er scho wieder is,« da hörte ich die labyrinthischen Fahrten schon mit. Die Elf, sagt man, ist lustig, die Fünf gilt als freundlich, die Vier halte ich für fade und die Drei?
Die Drei ist heilig. Die Drei ist Glück. Die Drei ist Macht. Deshalb ist 3 x 3 Männersache. Die 10, so glaubte ich, sei eine Erfindung des Tschingis-Chan. 3 Männer sind stark, 3 x 3 Männer noch stärker, und einer führt sie an. Und wieder 3 solche Züge geben eine Meute, 3 x 10 sind 30 und 3 x 30: 90 und die 9 Anführer solcher Rotten bilden eine Führungsbande, den Kopf der Jagdgesellschaft, und einer steht ihnen vor. Macht 100. Vollständig ist das Regierungswesen. Es heißt Dezimalsystem. Dieses ist männlich und erzeugt Rüstung und Krieg. Das Dezimalsystem haben, wie wir wissen, die Inder schon verwendet und die Römer in der Kriegskunst zur Entfaltung gebracht. Aber was wußte Tschingis-Chan von den Römern? Er hat die Ordnung seines Heeres neu gemacht und steppenweit erritten. 0,1 ist 1 Anführer, der Eine von 10, die Spitze der Stärke. 1 Kämpfer, 1 Tod.
Die Null. Wer hat die Null erfunden – jenen größten Gedanken der Menschen: Das Nichts, das reine Nichts. Unendlich nicht ist die Null, unendlich oft ist sie in der 1 enthalten, 1 dividiert durch 0 ist unendlich. Was für ein Gedanke! Überwindung von Wald und Kämpfer und Tod – die Null! Aufstand gegen die Wirklichkeit gereihter Bäume ist der Begriff der Null und zugleich Aufbruch in die Un-Wirklichkeit. Das Bild von der Welt wird ergänzt um ihren anderen Teil, den Schatten des Nicht-Greifbaren. Die Menschheit löst sich von ihren Sinnen und taucht hinein ins Unfaßbare, will es errechnen, zählen, mit ihm schaukeln, es vorhersagbare Gestalt werden lassen. Gegen die Idee der Zahl als geheimnisvolles Ganzes, das uns nur als magisches Bild in die Seele sinkt, tritt Leibniz auf und nennt sie das Alphabet der Gedanken.
Was ist Zahl? Reihung. Fortschritt auf einer Geraden, Werte-Paare auf einer Ebene. Jede Addition ist möglich. Das Universum der ganzen, der natürlichen Zahlen. Wenn sich der Mensch damit aber nicht zufrieden gibt? Wenn er auch wegnehmen will, und zwar mehr als da ist, und diese Verminderung selbst festschreiben? Dann erdenkt er sich das Drehmoment der negativen Zahlen, erfaßt nun einen sichtbaren und einen unsichtbaren Raum. Jetzt will der Mensch aber die Brüche formen, dividieren und die Zahl mit sich selbst multiplizieren und wiederum die Wurzel daraus ziehen – was ist die Wurzel aus –1? und durchstößt somit die reelle Welt und schafft sich die unwirkliche Zahl.
Weiter buchstabiert der Mensch, will alles wissen, alles in Gedanken vollziehen können, ein paradiesischer Aufstand vollzieht sich im Kampf um die Zahl, ein ständiger Griff nach dem Apfel, dem Weltenball - und Abstraktion ist das Mittel. Was, sagt Leibniz, wenn ich eine Zahl erfinde, die beliebig klein wird, die unendlich nah an die Null sich anschmiegt, sie aber niemals erreicht? Das unendliche Spiel mit dem unhandlichen Unendlichen kippt in einen greifbaren Begriff – dx, die Differentiale. Der Unterschied an sich, beliebig klein sich vorzustellen, ideeller Punkt auf einer Kurve, eine feste Rechengröße, zurückgeholt heute hier und jetzt:(2) um die Aufholjagden des Marktes zu rechnen, Statistiken, wie der Aktienindex vorangehen wird, die Bevölkerung sich entwickelt, die Arbeitslosigkeit exponentiell ansteigt. Entziffert ist das logische Gesetz der Geschichte. Kurven schwingen in den Köpfen, schwimmen über Dächern, machen Membranen berechenbar, und Kräfte und Schübe und Dichtigkeiten. Bewegung im Raum, die heimlichen Wünsche des Käufers, alles wird berechenbar, in Reihen treten die Zahlen an, in Mengen. In Kurven denkt er nur noch, sagt Hawking, und berechnet das Undenkbare, das Verschwinden des Lichts: wie schwer ist die Masse einer Stelle im All, daß die Anziehungskräfte ausreichen, das Licht zu binden? Dort ist das Schwarze Loch, der Griff nach der Ewigkeit scheint gelungen, der Aufstand gegen den Geist Gottes. Die Gedanken der Menschen sollen überall hin reisen, alles erfassen und ins Beschreibbare bannen, erst Punkt und Gerade, dann Kurve, dann schwingende, schwankende Räume, Verkrümmung von Raum und Zeit. Halt! Bis man sie umklappt, die irrationalen, die reellen, die algebraischen und die transzendenten Zahlen samt der Quaternionen... in die Grundwelt von 0 und 1.
Dyadik, binare Ordnung. 0 und 1 und die vielfache Verbindung der beiden. Alles zieht sich zusammen in einen Kasten simpler Geräte, 0 oder 1, 1 oder 0, negative und positive Ladung, Billionen von Kombinationen gibt es, alle sind auf das Grundgerüst gerichtet, 0 und 1, ja und nein. Der Computer ist erfunden, rechnet, meldet und verknüpft. Gibt uns Nachricht, virtuelle Verbindung., millionenfache Vernetzung. Eine Basiserfindung wie die Buchdruckerkunst und der Webstuhl. Jetzt können wir zahlen ohne die bunten Scheine des Geldes. Keine Eingrenzung mehr auf das Lächeln von Clara Schumann auf dem 100 Mark Schein, nein, eine Karte der Erkennung genügt, ich bin ich, das ist mein Kredit, davon ziehen Sie bitte Ihre Rechnung ab, für einen hervorragenden Sauschädel, genossen mit Kren zur Neujahrsnacht auf der Wieden, Einübung für die Jahrtausendwende.
Im Minus oder im Plus, ich weiß nicht, wo ich bin, auf einem weiten Feld der Möglichkeiten schwebe ich, kann alles bezahlen bis zu einer Tageshöchstgrenze von....... das regeln mir die kleinen, unsichtbaren Nein-und-Ja-Orte auf einem Streifen, Zauberstreifen, geheimnisschwarz, sagt Nummern über mich aus, 3 und 3 ist meine eigene, ist meine schöne Zahl, PIN - Personal Identification Number, ich verschlüssele meine Geheimnummer als die Telefonnummer meiner bösesten Schulfreundin, keiner weiß es, außer mir, ewig eingebrannt der Name in mein Hirn, 3 und 3 und 7 und 9, Zahlen voll Kraft und Herrschaft, eröffnen mir einen Pfad ins Minus, das mich nicht bedrückt, sich gelegentlich ausgleicht. Auf einem Feld der Berechtigung stehe ich, minus und plus, und halte das Maß, das ich gelernt habe, Genuß bis zum Tageshöchstsatz.
In den Fünfziger Jahren hatten 10 Schillinge eine greifbare Wirklichkeit. Braun, klein und zerknittert, stellten sie folgende Rechenkunst dar: 10 Schilling für den Abend sind eine Straßenbahnkarte in die Stadt, eine Burenwurst am Würstelstand, eine Schachtel Austria 3 Zigaretten – und im Kaffeehaus warten, daß einer einem den Kaffee zahlt. Oder hungern, dafür aber im Kaffeehaus unabhängig sein oder zufuß gehen oder Zigaretten schnorren und nervös sein in den Pausen der Stille, da keiner was erzählt oder anbietet oder nur Nichtraucherinnen um die Tania Tschuppik(3) herumsitzen. Meistens entschied ich mich für Zigaretten kaufen und zufuß gehen – war selbst diejenige, die verschwenderisch anbot und neue Gespräche verband durch die Zeremonie des Schachtelklopfens und einen weißen Zeiger herausrutschen Lassens – der nach einer Pause des Schweigens und Nickens das Signal setzte zum nächsten Dialog und zur nächsten Menschenverbindung. Zahlen! Sagte ich dann stolz und der Ober Theo beugte sich herab und sprach: »3Schilling 50, das Fräulein.« Das war meins, meine Rechnung, mein Besitz, meine Zahl.
Währungs- und Bewährungswert – Zahlen! ist ein katholisches Konzept.... es ist wie beichten was man gehabt hat, gütig neigt der Ober Theo sein Ohr, mein liebes Kind, du hast dich deiner Fleischeslust ergeben, erst darfst du alles sagen und dann an die Arbeit gehen, zur Buße, zum Leben, bis sich ein neuer Grund angesammelt hat, daß du hier wieder zum Genuß deiner geheimen Sehnsüchte sitzest.... zahlen, welche Herausforderung sich zu entäußern, zu verraten, Scheine durchzublättern. Als ich früh im Leben eingeladen ward von jungen Knaben, die mutig ihre Brieftasche mit geborgtem Geld durchblätterten, einen Schein heraushoben und ihn dazu verurteilten, daß er abging, da erfaßte mich jedesmal ein schweres Trennungsweh, ein Abschiedsschmerz um die ungelebten Genüsse, die mit diesem Schein nun fortzogen, da er uns verließ. Zahlen! – ein protestantischer Begriff? Daß wir Buße tun für Essen und Genuß, indem wir in einsamer Not mit Gott allein abwägen, was es war, das wir vergeudet, und ob wir die Semmel unterschlagen sollen und mit fürstlichem Trinkgeld unseren Geiz wieder rechtfertigen? Zahlen! Ist der Begriff der Sühne, also der Gerechtigkeit, des Ausgleichs, jetzt zahlt für euer Schicksal oder das Schicksal zahlt euch heim, kommt nach hause und fängt euch dort. Zahlen! Jeder erhält seinen Wert vom Schicksal zugewiesen.
Das Geld, Sitz der Sehnsucht, Preis für Schwäche, ein altmodischer Begriff. Schon die Steinzeitjäger, Flintsteinsammler, die Magdaléniens im Perigord waren ihm ergeben, hatten sich vom reinen Tauschgeschäft befreit eins zu eins, Lederkochtopf gegen Steinschaber, nein, das Genie der Vereinfachung hatte schon gewaltet und das Tauschen auf die nächse Ebene der Erfahrung gehoben, in den Raum der unsichtbaren Werte, der Vereinbarung vieler Möglichkeiten, die in einer kleinen Schar gleichartiger Elemente stecken: Münzen? Nein, Muscheln! 10 Muschelschalen für ein Lederband, 20 für ein Fell, 30 bunte Hülsen voller verborgener Zukünfte, der Traum vom Geld. Welches Geld?
Seit der erste Held sein Siegel in den Rund drückte, ist Geld nationaler Besitz, soviel wert, wie die Macht des Gemeinwesens, aus dem es kommt. In Polen erhält man für 10 Euro: ein Kunstbuch, ein Schnitzwerk, ein paar Handschuhe. Das ist uns des Polen Arbeit wert, weniger als der Stoff, den er in Händen hält. Gefangen in ihrem Wechselkurs ist jede Nation, fein gestaffelt das Ansehen, hoch oben siedeln die Leitwährungen der Finanznationen Grand Seven, Stockwerke von Glas als Vision von Macht in Städtezentren. In Europa wird das Wechseln abgeschafft, keine fremden Gesichter mehr auf bunten Scheinen, ein Bild, ein Sinn wird uns umspannen, der Euro ist unser Siegelring.(4)
Was ist der Wert des Geldes? Der Augenblick einer Notierung auf dem Bildschim. Trinke deine Cola, Händler, und sieh zu, wie der Won verfällt, wie die Dezimalen abwärtsrücken, und mit jedem Punkt Verlust ist es eine Firma, die verloren geht, ein Vater, der sein Haus, eine Mutter, die ihren Goldring verkauft, heute in Korea irgendwo, morgen in den Amerikas. Wo ein kleiner Wind der Schulden weht, flimmern die kristallenen Schirme, zittern die Datenfelder, löschen sich und schreiben sich neu, unser Aktienindex sinkt, weil sich in Japan ein Minister verbeugt und seinen Irrtum bekannt hat, in New York fährt der Dow Jones zu Tal, globale Schuldumverteilung, weltumspannender Zusammenhang, die Schuldenlast der einen verschwimmt zwischen uns allen, keine Grenzen seh ich mehr, hier waltet die Bestechlichkeit und dort sind die Makler erschüttert, die Firma Bauer hat falsch auf den Dollar gesetzt, 1000 sind entlassen – ich erhöhe dafür meine Steuern und werfe sie auf die Waage. Ich bin Atlas, trage die Schuld der Welt auf den Schultern, zahle sie mit Steuergroschen.
Mein Debet ist abgetragen, dem Land Korea werden Milliarden erlassen, verschoben wird das Geld von einem Wert zum anderen, von einem Punkt auf der Zeitachse zum nächsten, stetig verändert sich die Zahl auf der Zeitgeraden, auf der Zeitkrümmung. Keiner kennt den festen Wert des Geldes, er verändert sich mit der Bewegung über Zeit und Raum. Was wird, wenn die Werte in alle Richtungen aufstreben, sich dehnen, pulsieren, vibrieren mit dem Atem der Geschichte, wachsen und schwanken und plötzlich stille stehen - wenn mit ihrem Stillstand die Welt fällt, ins Nichts fällt, weil kein Wert mehr ist....
Herr Ober, zahlen!
(1) In New York erzählt man sich folgende Geschichte über einen japanischen Dirigenten und Karl Böhm, nachdem sie den Kaiserwalzer um die Wette dirigiert hatten: Fragt der japanische Kollege, warum das bei Böhm halt doch noch anders - so echt - klinge? Erklärung Böhm: You conduct one two three, one two three. And I do one two and perhaps three!
2) Es muß allerdings wenigstens im kleinen vermerkt werden, daß vor Leibniz, Newton und Gregory schon einem schlesischen Märchenerzähler die Transzendenz gelang, in dem er folgendermaßen die Ewigkeit berechenbar machte: »In Hinterböhmen steht ein diamantener Berg, eine Tagereise in die Breite, eine in die Länge und eine in die Höhe. Einmal in hundert Jahren kommt eine Schwalbe, und wetzt ihren Schnabel. Wenn sie den Berg abgewetzt hat, ist die erste Sekunde der Ewigkeit um.«
(3) Die Tania Tschuppik war eine bemerkenswerte Frau, saß jeden Tag ab sechs am großen runden Pfeilertisch im Café Hawelka und wartete auf unerfahrene Jugend. »Wissen Sie eigentlich, wer ich bin,« pflegte sie die Neuen einzuweihen, nein? Ich bin Tania Tschuppik«, Pause, »Frau des Walter Tschuppik«, Pause, »Herausgeber des Prager Tagblattes«, Zorn und Verachtung ob der Unbildung der Nachgeborenen sammelte sich in ihrem Blick und dann kam mit schneidender Stimme. »Rilke, als Kind, ist auf meinem Schoß gesessen. « Das traf. Die Jugend blieb an ihrem Tisch und plauderte.
(4) In Baden bei Wien im Jahr 1997 saßen drei hellsichtige alte Damen neben mir auf einer Bank und sahen in das Treiben des Stadtplatzes. »Den Euro werden wir ja noch erleben müssen«, seufzte die eine, »was werdens denn dann machen, Sie mit Ihren großen Ersparnissen. « »I wird des so anlegen, daß mir no was bleibt, wenn der Euro vorbei is. Aber hörn Sie, was werden Sie denn machen? mit Ihre Aktien aus dem Hausverkauf und mit Ihre Wertpapiere sinds ja noch schlimmer dran, als i mit meiner Lebensversicherung!« »Ja,« sagt die dritte, »es kommt alles zsamm, schlechte Regierung, Sparpaket, Rentenreform. Deshalb wart i mit Gefaßtheit ab, weil im Jahr 2000 hamma vielleicht eh scho die Euthanasie bei die vielen Rentner, und dann brauch i den Euro nimmer erleben.
Pripis urednika:
Esej »Zahlen!« je izšel kot 116. tisk Edition Mariannenpresse, Literaturhaus Berlin leta 2006 (ISBN 3-926433-30-2) v 80. arabsko oštevilčenih izvodih, 20. izvodih z dvema vloženima litografijama in 20. rimsko oštevilčenih izvodih. Stavek je napravil Jens Prockat, opremo Albrecht v. Bodecker, ki je prispeval tudi litografije, tiskal pa je Reinhard Scheuble v Witzwortu.