KULTURELLE SELBST- UND FREMDBILDER IN DER MARBURGER ZEITUNG UND IM GRAZER TAGBLATT IM HINBLICK AUF DIE INSZENIERUNG DER REGIONALEN KULTURAKTEURE
Abstract
In der vorliegenden Untersuchung wird anhand der deutschen Regionalpresse aus der medialen Peripherie der Habsburger Monarchie die Medialisierung der deutschsprachigen und slowenischen sowie anderer in der Habsburgermonarchie vertretenen Kulturen und ihre unterschiedliche Funktion analysiert. Als Korpora dienen die Marburger Zeitung (Maribor) und das Grazer Tagblatt aus der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts. Untersucht werden vorrangig literarische und literaturkritische Beiträge, teilweise auch relevante essayistische Beiträge mit aktuellen politischen und historischen Inhalten. Die medialisierten Kulturbilder werden auf ihre Identität und Alterität, ausgehend von den Modi der Fremdwahrnehmung von Ortfried Schäffter, der Fremdheitstypologie von Bernhard Waldenfels und des Konzeptes des Gedächtnisses von Pierre Nora untersucht.
1. Kulturhistorische Lage von Maribor im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts
Um die Inszenierung der Selbst- und Fremdbilder der deutschsprachigen Kultur in den untersuchten Periodika darzustellen, ist ein Exkurs über die nationale Zusammensetzung der Bevölkerung von Maribor und über die Institutionalisierung der Kultur erforderlich.
Im Jahr 1850 zählte Maribor 6.706 Einwohner, wobei die Innenstadt mit 3.677 Einwohnern fast ausschließlich deutsch war, die Vorstädte aber mehr oder weniger slowenisch.1 Durch die Industrialisierung und Verkehrsvernetzung wuchs Maribor bis zum Ersten Weltkrieg auf 27.994 Einwohner, davon waren 3.823 Einwohner als slowenischsprachige verzeichnet worden. Diese Resultate der Volkszählung müssen mit Bedacht interpretiert werden und außerdem muss dabei berücksichtigt werden, dass der Prozess der Assimilation auf die aus der ländlichen Umgebung stammenden Slowenen, die sich in der Stadt ihre Existenz sichern wollten, starken Einfluss hatte. 2 Dementsprechend herrschte die deutsche Kultur in allen gesellschaftlichen Feldern vor und war auf dem besten Weg, sich zu institutionalisieren, etwa mittels der ersten Marburger Druckerei (1795), des Männergesangvereins (1846), des deutschen Stadttheaters (1852), des Periodikums Marburger Zeitung3 (1862), der ersten öffentlichen Bibliothek (1902) usw.
Der Konstituierung des slowenischen Kulturfeldes und der Institutionalisierung (im Bereich des Theaters) standen im Gegensatz zum deutschen zahlreiche Hürden im Wege: die verspätete nationale Bewusstwerdung, die außer in der nationalen Struktur der Stadt auch in der politischen Situation des Habsburgerreichs zu suchen ist, und der Umstand, dass die Revolution 1848 und ihre Folgen für nationale Identitätsbewusstwerdung an Maribor im Vergleich mit Ljubljana so gut wie vorbeigingen4.
Der Institutionalisierung des slowenischen Theaterwesens z.B. standen auch innere weltanschauliche und soziale Zersplitterung und fehlendes finanzielles Kapital5 im Wege. Erst das 1898 erbaute Gebäude des Narodni dom (Volksheim), das in seiner Funktion der Bewahrung der Kultur dem deutschen Stadttheater und Kasino ähnelte, wurde zur Heimstätte slowenischer Vereine und des kulturellen Lebens, das sich bis dahin in Wirtshäusern abgespielt hatte.6
1. Selbstbilder deutscher Kultur in den steirischen Periodika
1.1. Kulturelle Institutionen als Festungen der kollektiven deutschen Eigenheit
Die Selbstrepräsentation der Marburger Zeitung war am Anfang die eines Verbindungsgliedes, bzw. einer Brücke in der Verständigung zwischen der slowenischen und deutschen Kultur. In Anlehnung an die Modi der Fremdwahrnehmung von Otfried Schäffter wurde das Fremde, also die slowenische Kultur als Resonanzboden des Eigenen medialisiert. Dieses Fremdbild modifiziert sich aber in 25 Jahren stufenweise zur völligen Negation des Fremden, also der slowenischer Kultur:
Insoferne es das bescheidene Feld unseres Blattes erlaubt, werden wir die Interessen der Deutschen und Slovenen nach dem Grundsatze der vollen Gleichberechtigung zu vertreten und so oft sich uns nur immer die Gelegenheit darbieten wird – den Geist der Versöhnung zwischen den Beiden Nationen zu wecken und zu beleben trachten.7
[...] wird [die Marburger Zeitung] den Einzigen Ehrgeiz darin suchen, ein entschieden deutschnationales Blatt zu sein. Sie wird für das deutsche Volksthum mit aller Kraft und Begeisterung eintreten und in der Stärkung und Erhöhung des deutschen Stammesbewusstseins ihre vornehmste Aufgabe erblicken. Sie wird daher alle Versuche, die deutschnationale Strömung zu stauen, rücksichtslos bekämpfen, mögen dieselben von slavischen Gegnern oder von scheinbar befreundeter Seite ausgehen.8
Die Inszenierungen der deutschen Superiorität und kollektiver Homogenität, die der Berichterstattung der Marburger Zeitung zu entnehmen sind, kann man außerdem nach dem Konzept des Fremden von Bernhard Waldenfels als Versuche der nationalistischen Aneignung des Fremden in Form der Zentrierung auf Eigenes deuten: »Im Ethnozentrismus erweitert sich das Ich, auf dem Weg über eine Identifizierung mit Anderen, zum kollektiven Wir einer Gruppe, eines Stammes, eines Volkes oder einer Kultur.« 9 Dies geschieht nach Waldenfels als Folge der Tendenz zur Selbsterhaltung und Selbsterweiterung.
Die allmähliche Konstituierung des slowenischen Kulturfeldes am Anfang des 20. Jahrhunderts löste in Maribor also die Zentrierung der deutschen Kultur auf sich selbst und deren Vorzugshaltung aus und obwohl es sich um wirtschaftlich und kulturell überlegene Kultur handelte, wurde die unterlegene slowenische Kultur als Bedrohung empfunden.10 Deswegen deklarierten kulturelle Institutionen (Theater, Casino-Verein, etc.) in der Tageszeitung ihre Funktion vorrangig als die der deutschen kollektiven Identitätserhaltung, wogegen die Funktionen der Bildung und Kunst zweitrangig wurden:
Marburg ist die einzige Stadt in ganz Deutschland und Österreich, die sich den Ruhm eines Stadttheaters gönnt, dabei aber die Erhaltung desselben einem Vereine überläßt. […] Das deutsche Theater ist eine Edelblüte am Baume deutscher Kultur und sie hegen und pflegen ist Sache unserer maßgebenden Körperschaften, denn zumal in Marburg, das im Sprachenkampfgebiete liegt und nicht nur den deutschen Charakter unserer Stadt, sondern ganz Untersteiermarks zu wahren hat, ist das Theater ein politischer Faktor geworden. 11
1.2 Inszenierung der regionalen Kulturakteure: Ottokar Kernstock und Peter Rosegger
Im Grazer Tagblatt findet man zahlreiche Verweise auf Vereinstätigkeit in Maribor, Maribor Feste, Feiern und Jubiläumsfeiern berühmter Persönlichkeiten, was auf eine rege kulturelle Vernetzung zwischen den Städten schließen lässt, die z.B. im Bereich des Theaters nicht zum Vorschein kommt.
Die Berichterstattung über die Kernstock-Feier, die damit verbundene Verleihung des Ehrenbürger-Titels an den genannten Dichter und die Eröffnung des »Kernstock-Stüberls«12 im Mariborer Gasthof Zum schwarzen Adler (das heutige Hotel Orel) erschien auf dem Titelblatt der Abendausgabe des Grazer Tagblattes. Unter Berücksichtigung der deutschnationalen Orientierung des Periodikums ist es nicht verwunderlich, dass die Berichterstattung über den österreichischen Dichter Ottokar Kernstock (1848-1928), den gebürtigen Marburger, als interessantes Thema für das Periodikum erschien, da es für die Mariborer sowie Grazer Rezipienten von relevanter Bedeutung sein musste. In einer mit Pathos versehenen Rede wird Kernstock als »Schmied des deutschen Charakters«13 inszeniert:
Es ist kein Wunder, daß es uns so stürmisch bewegt, denn wir haben doch ihn unter uns, der unter den deutschen Poeten auf gefährdetem Posten eine Ausnahmsstellung einnimmt, ihn, dessen Poesien zum Besten gehören, was der deutsch-österreichische Stamm hervorgebracht hat, der die deutsche Vergangenheit auferstehen ließ, der ein Kronzeuge für uns in den schwersten Stunden unseres Stammes geworden ist. […] Er ist ein Romantiker unserer Deutschheit und Erzieher unserer deutschen Volksseele geworden. 14
Die Instrumentalisierung, ersichtlich anhand der Konnotate ‚Deutschheit’, ‚deutsche Volksseele’‚ ‚deutsche Vergangenheit’ usw. lässt eine Verflechtung von Konzepten der Identität und des Gedächtnisses beobachten, denn Berufung auf eine gemeinsame Vergangenheit und/oder auf gemeinsame Traditionen stellt den wichtigsten Kohäsiefaktor für die ‚imagined community’ der Nation dar. 15
Der Dichter wird in Anlehnung an das Konzept des Gedächtnisses von Pierre Nora somit zum Träger bzw. Medium des kollektiven Gedächtnisses16 und das Kernstock-Stüberl zum Erinnerungsort17 – beide füllen eine identitätsstiftende und –erhaltende Funktion für die deutsche Kultur an der Peripherie der habsburgischen Monarchie aus. 18
Dagegen nimmt die Berichterstattung über den Grazer Dichter Peter Rosegger kontroverse Züge an. Das Grazer Tagblatt bemüht sich Roseggers ‚unschickliche’ Äußerung über den Sprachenkampf als »von persönlichen Feindseligkeiten geleiteten Interessenskämpfen«19, als Roseggers Unwissen über das Sprachproblem zu interpretieren:
Rosegger hat sich unseres Wissens niemals längere Zeit in gemischtsprachigen Gebieten des Nordens oder Südens aufgehalten und daher auch gar keine Gelegenheit gehabt, aus eigener Anschauung zu erfahren, mit welcher Gehässigkeit, Roheit und Niedertracht der von ihm so gering eingeschätzte Vernichtungskampf gegen die deutsche Sprache und alles deutsche Wesen von den Slawen geführt wird. 20
Der von der Zeitung Arbeiterwille gestellte Vorurteil, Rosegger sei Volksverräter, wird seitens Grazer Tagblattes durch Diffamierung der Zeitung Arbeiterwille als das »perfideste Blatt von Graz«21 abgetan. Der Autor des Beitrags appelliert auf Roseggers Wissensaneignung und ist zuversichtlich, dass sich Roseggers Einstellung grundlegend ändern kann: »er [Rosegger] würde von heiligem Zorn übermannt […] und müsste sich in einen unserer eindringlichsten Rufer im Streite verwandeln […]«.22 Der Berichterstatter äußert auch Roseggers mögliche Rolle im Sprachenkampf: »Tausende erprobter deutscher Kämpfer würden ihm begeistert zujubeln und andere Tausende, die noch immer michelhaft dahinträumen, könnten durch sein Vorbild unseren Reihen zugeführt werden.« 23
Fast drei Monate danach trat Rosegger im Grazer Tagblatt als Aktivist für die Erhaltung deutscher Sprache und Kultur – als der »volkstreue Dichter«24 auf. Seiner Anregung aus dem Neuen Wiener Tagblatt, eine 2 Millionen Kronen hohe Spende seitens wohlhabender Deutschen, die in Österreich leben, zu sammeln, folgten überwiegend positive, 25 aber auch negative Reaktionen. Letztere beziehen sich auf die Spenderliste – wogegen es zahlreiche Meldungen gab, dass andere Vereine und Studenten den Beitrag von 2000 Kronen sammelten, macht Adolf Auderl im Grazer Tagblatt darauf aufmerksam, dass die wohlhabenden Deutschen für die »Unterstützung völkischer Zwecke« nicht so leicht zu gewinnen wären. Die Aufzählung derer, die zwar zu den Reichen gehören, aber für Spende nicht in Frage kommen, nimmt antisemitische Züge an – neben »geldgierigen«<26/sup> Juden, werden noch kirchlichen »Fonde der toten Hand«27, Aristokraten, materialistisch ausgerichtete und verwöhnte Reiche, usw. aufgezählt. Die Spender-Basis, die Rosegger ansprach, ist nach Auderl umstritten, vor allem vergisst man die bisherige Spenden-Bereitschaft des Mittelstandes und dessen Empathie für die deutsche Kultur im Sprachenkampf in den Grenzgebieten. Diese Kritik zeugt gleichzeitig von der intrakulturellen Differenzierung der deutschen Kultur, die gleichzeitig die Tendenz zur Inszenierung der deutschen Homogenität aufbricht.
Die Berichterstattung aus dem Grazer Tagblatt über die Kernstock-Feier in Maribor und die Berichte über die Aufforderung des Dichters Peter Roseggers zur Spende für Gründung deutscher Schulen an der Sprachgrenze haben eine identitätsstiftende Funktion. Beide Akteure werden als Vorbilder im Kampf gegenüber dem bedrohenden Fremden – dem Slawentum – inszeniert und dienen der Legitimierung der eigenen Kultur. Obwohl sich die deutschsprachige Presse im Hinblick auf das nationale Erwachen der vielen nichtdeutschsprachigen Völker der Monarchie zur Inszenierung von deutschsprachiger Homogenität und Superiorität bemüht, ist die Kritik an unterschiedlichen Ständen der deutschen Gesellschaft und ihrer Nicht-Teilnahme an dem sog. Sprachenkampf präsent.
2. Fremdbilder
2. 1. Kulturelle Transfers als geistiger Diebstahl – Diffamierung des Fremden
In beiden untersuchten Periodika ist eine Ausblendung der Berichterstattung über kulturelle Transfers zu beobachten. Dagegen werden realisierte kulturelle Transfers auf unterschiedliche Arten delegitimiert und diffamiert. Der Inszenierung Grazer Tagblattes vom »Tschechischen Diebstahl an deutschen Bühnendichtern«28 ähnelt den Tendenzen, die charakteristisch für die Berichterstattung der Marburger Zeitung gegenüber jedweder slowenischer kultureller Tätigkeit sind. Die Missachtung der Gesetze zu Urheberrechten für Bühnenwerke, die von den slowenischen und tschechischen Theatern nicht immer eingehalten wurden, wird in den Periodika als kriminell medialisiert. Die Selbstrepräsentation der eigenen Nation als einer Kulturnation steht in Opposition zum Fremden:
Der geistige Diebstahl feiert in dem slowenischen Schrifttum wahre Orgien. […] Das Weiße Rößl, die bekannte Novität der Herren Blumenthal und Kadelburg ist mit einem kühnen Griff ins Neuslovenische übertragen worden. Die Handlung spielt nicht mehr in den deutschen Alpen, sondern in Veldes in Oberkrain und an Stelle von Kathi, Mirzl und Martin sind Jerica, Pepca und Miha getreten. Der Theaterzettel nennt weder die Namen der Autoren, noch die Tatsache der Uebersetzung aus dem Deutschen – man will sich also mit fremden Federn schmücken. Das passt ganz gut zu dem Gesamteindruck, den jedermann vom slovenischen Schrifttum hat. 29
»Die Verstoße gegen das Deutschtum, welche von dieser ‘Kulturnation’ [Slowenen] immer wieder versucht werden, haben auch einen räubermäßigen Charakter […]«30
Die Angriffe auf deutsche Schulkinder seitens der Tschechen werden als repräsentativ für den Charakter aller slawischen Völker inszeniert und dadurch Generalisierungen auf der Ebene der Nation, aber auch darüber hinaus inszeniert:
Welchen Abgrund von Roheit und Feigheit enthüllt hier die slavische Volksseele!
Überfall wehrloser Kinder! Im Anfange hieß es mit scheinheiligem Augenaufschlage, nur das deutsche Band und die Kappe der »Burschaki« brächten die Taubennatur der gutmütigen Söhne Libussas zum Kochen; jetzt genügen schon die Laute von Kindern, um das tschechische »Nationalgefühl« zum Überschäumen und Dreinschlagen zu bringen. 31
Die tschechischen nationalen Bestrebungen werden als Bedrohung der Stabilität der eigenen Ordnungsstruktur mittels der Überfremdung inszeniert und werden in trivialen Hetzgedichten fiktionalisiert, in denen die politische Tätigkeit zwei tschechischer Abgeordneten, die zu den tschechischen Sozialisten gehörten und deren parlamentarische Tätigkeit als ′Theater′ diffamiert werden:
In Wien ein ceski Theater
Verlangt ihr im Augenblick,
Dramatische Künste zu pflegen
Und – strengnationale Musik.
...
Und spielen der Fresl, der Klosac
Und Lisy nicht exzellent? -:
Ihr habt euer ceski Theater
Doch in Österreichs Parlament ... 32!
3. Fazit
Die beiden steirischen Periodika unterscheiden sich untereinander in der Intensivierung der einzelnen Modi der Fremdwahrnehmung. Die Marburger Zeitung, aber auch deutsche kulturelle Institutionen in Maribor, wie das Stadttheater, erklärten öffentlich ihre politische Funktion – die Bewahrung der deutschen Kultur in Maribor. Dem entsprechend verlief die Inszenierung der slowenischen Kultur als einer Fremden, oft mit der Unterbedeutung des ′Abartigen′ und ′Artfremden′, die in der Marburger Zeitung radikalere Züge annimmt und ist auch häufiger vorkommend im Vergleich zum Grazer Tagblatt, in dem ähnliche Tendenzen der Inszenierung gegenüber der tschechischen Kultur zu beobachten sind.
Die Untersuchung des Grazer Tagblattes (1907-1909) lässt eine rege Berichterstattung über die deutschsprachige Kulturlandschaft im slowenischen ethnischen Gebiet beobachten. Die Medialisierung von minoritären Kulturen und Literaturen im Vergleich zur deutschsprachigen Kultur und Literatur wurde im Sinne der Superiorität der Letzteren inszeniert. Die kulturellen Berichte erfüllten im Rahmen der Inszenierung der regionalen Kulturakteure, darunter der Schriftsteller Peter Rosegger und Ottokar Kernstock sowie der deutschkulturellen Homogenität, eine kollektive identitätsstiftende Funktion, was angesichts der Lage von Kulturzentren Maribor und Graz an der Peripherie sowie in der kulturellen Kontaktzone – in ständiger Berührung mit der sich damals zunehmend autonomisierenden slowenischen Kultur – klar in Erscheinung tritt. Die Elemente der minoritären Kulturen und Literaturen der Donaumonarchie wurden beim Transfer, meist in Form von Übersetzungen und Theateraufführungen, in den Periodika in unterschiedlicher Weise diffamiert.
Hinsichtlich der Fremdbilder der slowenischen aber auch anderer slawischen Kulturen ist eine Tendenz zur Inszenierung des Fremden als eine Negation von Eigenheit zu beobachten. Während die Laibacher Zeitung, wie die neuesten Untersuchungen zeigen,33 um die Jahrhundertwende noch ein prinzipielles Verstehen gegenüber der slowenischen kulturellen Tätigkeit entgegenbringt und auf die Inszenierung der nationalbedingten und stereotypisierten Fremdbilder verzichtet, sind gerade diese für die steirischen Periodika Grazer Tagblatt und Marburger Zeitung charakteristisch. Alle drei Modi der Fremdwahrnehmung nach O. Schäffter, die in den Inszenierungen zu beobachten sind, zeigen eine ambivalente Natur gegenüber dem Fremden, was auch auf die historischen Geschehnisse zurückzuführen ist. Ein polyvalentes, komplementäres Charakter in der Fremdwahrnehmung, das nicht auf der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und Anderem bzw. Fremden beruht, tritt in den Periodika nicht zum Vorschein.
1Franjo Baš: Prispevek k zgodovini Severovzhodne Slovenije, Založba Obzorja Maribor, 1989, str. 139 und Bruno Hartman: Kultura v Mariboru. Gibanja, zvrsti, osebnosti. Maribor: Obzorja 2001, S. 14-15.
2Vgl. Bruno Hartman: Kultura v Mariboru. Gibanja, zvrsti, osebnosti. Maribor: Obzorja 2001, S. 14-16.
3Das Periodikum erschien erstmals 1862 unter dem Namen Correspondent für Untersteiermark, wechselte aber bis zu dessen Einstellung im Jahre 1945 oftmals den Namen. Vgl. Janko Glazer: Razprave – članki – ocene. Maribor: Obzorja 1993, S. 645-685.
4Vgl. M. Birk, Das deutsche Drama, S. 256.
5Folgende Daten geben Aufschluss über die wirtschaftliche Situation in Maribor vor dem Ersten Weltkrieg: Nur 10 Prozent der slowenischsprachigen Einwohner waren immobilien- und einkommenssteuerpflichtig, weiterhin gab es 160 slowenische von insgesamt 1.280 Hausbesitzern, und es waren 13 slowenische und 192 deutsche Unternehmen registriert. Vgl. Dragan Potočnik: Maribor med leti 1918-1941 (Die Stadt Maribor im Zeitraum 1918-1941). In: Studia Historica Slovenica. Jahrgang 6 [2006], Heft 2 und 3, S. 403-420, hier S. 403.
6Vgl. Anja Urekar, Matjaž Birk: Prozesse der Hybridisierung und Abgrenzung in der Mariborer Theaterlandschaft 1900-1919. In: Zwischenräume : kulturelle Transfers in deutschsprachigen Regionalperiodika des Habsburgerreichs (1850-1918). Hg. von Matjaž Birk. 2009, S. Wien, Berlin: LIT, S. 125-148.
7Correspondent für Untersteiermark, 28. September 1862, Nr. 53, S. 1.
8Marburger Zeitung, 28. Dezember 1887, Nr. 155, S. 1.
9Bernhard Waldenfels: Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1997, S. 150.
10Vgl. Urekar/Birk 2009, S. 126.
11N.N.: Das Marburger Theater. Seine finanzielle Lage. In: Marburger Zeitung, 31. 7. 1909, Nr. 91, S. 3.
12N.N.: Die Kernstock-Feier. In: Grazer Tagblatt, Jg. 19, Nr. 210, S. 1-2.
13N.N.: Die Kernstock-Feier. In: Grazer Tagblatt, Jg. 19, Nr. 209, S. 3-4.
14Ebd. Das Zitat stammt aus der im Grazer Tagblatt veröffentlichten Rede des Abgeordneten und Publizisten Heinrich Wastian (1873-1931) im Rahmen der Kernstock-Feier in Maribor. Neben den Redner traten das Marburger Männergesangsverein und andere Gesangsgruppen, in Anwesenheit von Vertretern der deutschen Vereine in Maribor, auf. Mehr über Wastian vgl. auch Janez Cvirn: Trdnjavski trikotnik. Politična orientacija Nemcev na Spodnjem Štajerskem (1861-1914), Založba Obzorja, Maribor 1997, S. 372-373.
15Vgl. Das Konzept der immagined communities von Benedict Anderson. Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation: Zur Karierre eines erfolgreichen Konzepts. Frankfurt/New York: Campus Verlag 2005.
16Zur Unterscheidung zwischen Medien und Topoi des kulturellen Gedächtnisses vgl. Patrick Schmidt: Zwischen Medien und Topoi: Die Lieux de mémoire und die Medialität des kulturellen Gedächtnisses. In: Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifität. Hg. Von Astrid Erll und Ansgar Nünning. Berlin, New York: de Gruyter, 2004, S. 25-44, hier S. 36.
17Vgl. hierzu Pierre Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis: Die Gedächtnisorte. In: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin: Wagenbach, 1990, S. 17.
18Vgl. Anja Urekar: Das deutsche Stadttheater und die Kulturlandschaft von Maribor im Spiegel des Grazer Tagblattes (1907-1909). Selbstbilder deutscher Kultur. In: A svet je kroženje in povezava zagonetna --- : zbornik ob 80-letnici zaslužnega profesorja dr. Mirka Križmana. Hg. von Vida Jesenšek et al. Maribor: Mednarodna založba Oddelka za slovanske jezike in književnosti, Filozofska fakulteta, 2012, S. 409-419.
19th.: Rosegger ein – »Volksverräter«? In: Grazer Tagblatt, 23. 1. 1909, Nr. 23, S. 3.
20Ebd.
21Ebd.
22Ebd.
23Ebd.
24N.N.: Eine begrüßenwerte Anregung Roseggers. In: Grazer Tagblatt, 27. 4. 1909, Nr. 116, S. 3.
25Ebd., siehe auch: N.N.: Roseggers nationale Anregung. In: Grazer Tagblatt, 2. 5. 1909, Nr. 121, S. 3.
26Adolf Auderl: Einiges zu Roseggers Anregung. In: Grazer Tagblatt, 16. 5. 1909, Nr. 135, S. 1-2, hier S. 1.
27Ebd.
28N.N.: Tschechischer Diebstahl an deutschen Bühnendichtern. In: Grazer Tagblatt, 20. 1. 1909, Nr. 20, S. 5.
29N.N.: Pri belem konjičku. In: Marburger Zeitung, 5. 2. 1903.
30N.N.: Marburger Spaziergänge. VI. In: Marburger Zeitung, 7. 5. 1904, Nr. 56, S. 4
31F.W.: Tschechische Roheit. In: Grazer Tagblatt, 14. 2. 1909, Nr. 45, S. 5.
32Josef Rich. Sparowitz: Den Tschechen in Wien. In: Grazer Tagblatt, 14. 2. 1909, Nr. 45, S. 5.
33Anja Urekar Osvald: Literarische Fremd- und Selbstinszenierung in der deutschen regionalen Presse aus der Steiermark und Krain (1900-1914) und ihre gesellschaftliche Funktion: doktorska disertacija. Maribor, 2015.
Abstract
In der vorliegenden Untersuchung wird anhand der deutschen Regionalpresse aus der medialen Peripherie der Habsburger Monarchie die Medialisierung der deutschsprachigen und slowenischen sowie anderer in der Habsburgermonarchie vertretenen Kulturen und ihre unterschiedliche Funktion analysiert. Als Korpora dienen die Marburger Zeitung (Maribor) und das Grazer Tagblatt aus der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts. Untersucht werden vorrangig literarische und literaturkritische Beiträge, teilweise auch relevante essayistische Beiträge mit aktuellen politischen und historischen Inhalten. Die medialisierten Kulturbilder werden auf ihre Identität und Alterität, ausgehend von den Modi der Fremdwahrnehmung von Ortfried Schäffter, der Fremdheitstypologie von Bernhard Waldenfels und des Konzeptes des Gedächtnisses von Pierre Nora untersucht.
1. Kulturhistorische Lage von Maribor im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts
Um die Inszenierung der Selbst- und Fremdbilder der deutschsprachigen Kultur in den untersuchten Periodika darzustellen, ist ein Exkurs über die nationale Zusammensetzung der Bevölkerung von Maribor und über die Institutionalisierung der Kultur erforderlich.
Im Jahr 1850 zählte Maribor 6.706 Einwohner, wobei die Innenstadt mit 3.677 Einwohnern fast ausschließlich deutsch war, die Vorstädte aber mehr oder weniger slowenisch.1 Durch die Industrialisierung und Verkehrsvernetzung wuchs Maribor bis zum Ersten Weltkrieg auf 27.994 Einwohner, davon waren 3.823 Einwohner als slowenischsprachige verzeichnet worden. Diese Resultate der Volkszählung müssen mit Bedacht interpretiert werden und außerdem muss dabei berücksichtigt werden, dass der Prozess der Assimilation auf die aus der ländlichen Umgebung stammenden Slowenen, die sich in der Stadt ihre Existenz sichern wollten, starken Einfluss hatte. 2 Dementsprechend herrschte die deutsche Kultur in allen gesellschaftlichen Feldern vor und war auf dem besten Weg, sich zu institutionalisieren, etwa mittels der ersten Marburger Druckerei (1795), des Männergesangvereins (1846), des deutschen Stadttheaters (1852), des Periodikums Marburger Zeitung3 (1862), der ersten öffentlichen Bibliothek (1902) usw.
Der Konstituierung des slowenischen Kulturfeldes und der Institutionalisierung (im Bereich des Theaters) standen im Gegensatz zum deutschen zahlreiche Hürden im Wege: die verspätete nationale Bewusstwerdung, die außer in der nationalen Struktur der Stadt auch in der politischen Situation des Habsburgerreichs zu suchen ist, und der Umstand, dass die Revolution 1848 und ihre Folgen für nationale Identitätsbewusstwerdung an Maribor im Vergleich mit Ljubljana so gut wie vorbeigingen4.
Der Institutionalisierung des slowenischen Theaterwesens z.B. standen auch innere weltanschauliche und soziale Zersplitterung und fehlendes finanzielles Kapital5 im Wege. Erst das 1898 erbaute Gebäude des Narodni dom (Volksheim), das in seiner Funktion der Bewahrung der Kultur dem deutschen Stadttheater und Kasino ähnelte, wurde zur Heimstätte slowenischer Vereine und des kulturellen Lebens, das sich bis dahin in Wirtshäusern abgespielt hatte.6
1. Selbstbilder deutscher Kultur in den steirischen Periodika
1.1. Kulturelle Institutionen als Festungen der kollektiven deutschen Eigenheit
Die Selbstrepräsentation der Marburger Zeitung war am Anfang die eines Verbindungsgliedes, bzw. einer Brücke in der Verständigung zwischen der slowenischen und deutschen Kultur. In Anlehnung an die Modi der Fremdwahrnehmung von Otfried Schäffter wurde das Fremde, also die slowenische Kultur als Resonanzboden des Eigenen medialisiert. Dieses Fremdbild modifiziert sich aber in 25 Jahren stufenweise zur völligen Negation des Fremden, also der slowenischer Kultur:
Insoferne es das bescheidene Feld unseres Blattes erlaubt, werden wir die Interessen der Deutschen und Slovenen nach dem Grundsatze der vollen Gleichberechtigung zu vertreten und so oft sich uns nur immer die Gelegenheit darbieten wird – den Geist der Versöhnung zwischen den Beiden Nationen zu wecken und zu beleben trachten.7
[...] wird [die Marburger Zeitung] den Einzigen Ehrgeiz darin suchen, ein entschieden deutschnationales Blatt zu sein. Sie wird für das deutsche Volksthum mit aller Kraft und Begeisterung eintreten und in der Stärkung und Erhöhung des deutschen Stammesbewusstseins ihre vornehmste Aufgabe erblicken. Sie wird daher alle Versuche, die deutschnationale Strömung zu stauen, rücksichtslos bekämpfen, mögen dieselben von slavischen Gegnern oder von scheinbar befreundeter Seite ausgehen.8
Die Inszenierungen der deutschen Superiorität und kollektiver Homogenität, die der Berichterstattung der Marburger Zeitung zu entnehmen sind, kann man außerdem nach dem Konzept des Fremden von Bernhard Waldenfels als Versuche der nationalistischen Aneignung des Fremden in Form der Zentrierung auf Eigenes deuten: »Im Ethnozentrismus erweitert sich das Ich, auf dem Weg über eine Identifizierung mit Anderen, zum kollektiven Wir einer Gruppe, eines Stammes, eines Volkes oder einer Kultur.« 9 Dies geschieht nach Waldenfels als Folge der Tendenz zur Selbsterhaltung und Selbsterweiterung.
Die allmähliche Konstituierung des slowenischen Kulturfeldes am Anfang des 20. Jahrhunderts löste in Maribor also die Zentrierung der deutschen Kultur auf sich selbst und deren Vorzugshaltung aus und obwohl es sich um wirtschaftlich und kulturell überlegene Kultur handelte, wurde die unterlegene slowenische Kultur als Bedrohung empfunden.10 Deswegen deklarierten kulturelle Institutionen (Theater, Casino-Verein, etc.) in der Tageszeitung ihre Funktion vorrangig als die der deutschen kollektiven Identitätserhaltung, wogegen die Funktionen der Bildung und Kunst zweitrangig wurden:
Marburg ist die einzige Stadt in ganz Deutschland und Österreich, die sich den Ruhm eines Stadttheaters gönnt, dabei aber die Erhaltung desselben einem Vereine überläßt. […] Das deutsche Theater ist eine Edelblüte am Baume deutscher Kultur und sie hegen und pflegen ist Sache unserer maßgebenden Körperschaften, denn zumal in Marburg, das im Sprachenkampfgebiete liegt und nicht nur den deutschen Charakter unserer Stadt, sondern ganz Untersteiermarks zu wahren hat, ist das Theater ein politischer Faktor geworden. 11
1.2 Inszenierung der regionalen Kulturakteure: Ottokar Kernstock und Peter Rosegger
Im Grazer Tagblatt findet man zahlreiche Verweise auf Vereinstätigkeit in Maribor, Maribor Feste, Feiern und Jubiläumsfeiern berühmter Persönlichkeiten, was auf eine rege kulturelle Vernetzung zwischen den Städten schließen lässt, die z.B. im Bereich des Theaters nicht zum Vorschein kommt.
Die Berichterstattung über die Kernstock-Feier, die damit verbundene Verleihung des Ehrenbürger-Titels an den genannten Dichter und die Eröffnung des »Kernstock-Stüberls«12 im Mariborer Gasthof Zum schwarzen Adler (das heutige Hotel Orel) erschien auf dem Titelblatt der Abendausgabe des Grazer Tagblattes. Unter Berücksichtigung der deutschnationalen Orientierung des Periodikums ist es nicht verwunderlich, dass die Berichterstattung über den österreichischen Dichter Ottokar Kernstock (1848-1928), den gebürtigen Marburger, als interessantes Thema für das Periodikum erschien, da es für die Mariborer sowie Grazer Rezipienten von relevanter Bedeutung sein musste. In einer mit Pathos versehenen Rede wird Kernstock als »Schmied des deutschen Charakters«13 inszeniert:
Es ist kein Wunder, daß es uns so stürmisch bewegt, denn wir haben doch ihn unter uns, der unter den deutschen Poeten auf gefährdetem Posten eine Ausnahmsstellung einnimmt, ihn, dessen Poesien zum Besten gehören, was der deutsch-österreichische Stamm hervorgebracht hat, der die deutsche Vergangenheit auferstehen ließ, der ein Kronzeuge für uns in den schwersten Stunden unseres Stammes geworden ist. […] Er ist ein Romantiker unserer Deutschheit und Erzieher unserer deutschen Volksseele geworden. 14
Die Instrumentalisierung, ersichtlich anhand der Konnotate ‚Deutschheit’, ‚deutsche Volksseele’‚ ‚deutsche Vergangenheit’ usw. lässt eine Verflechtung von Konzepten der Identität und des Gedächtnisses beobachten, denn Berufung auf eine gemeinsame Vergangenheit und/oder auf gemeinsame Traditionen stellt den wichtigsten Kohäsiefaktor für die ‚imagined community’ der Nation dar. 15
Der Dichter wird in Anlehnung an das Konzept des Gedächtnisses von Pierre Nora somit zum Träger bzw. Medium des kollektiven Gedächtnisses16 und das Kernstock-Stüberl zum Erinnerungsort17 – beide füllen eine identitätsstiftende und –erhaltende Funktion für die deutsche Kultur an der Peripherie der habsburgischen Monarchie aus. 18
Dagegen nimmt die Berichterstattung über den Grazer Dichter Peter Rosegger kontroverse Züge an. Das Grazer Tagblatt bemüht sich Roseggers ‚unschickliche’ Äußerung über den Sprachenkampf als »von persönlichen Feindseligkeiten geleiteten Interessenskämpfen«19, als Roseggers Unwissen über das Sprachproblem zu interpretieren:
Rosegger hat sich unseres Wissens niemals längere Zeit in gemischtsprachigen Gebieten des Nordens oder Südens aufgehalten und daher auch gar keine Gelegenheit gehabt, aus eigener Anschauung zu erfahren, mit welcher Gehässigkeit, Roheit und Niedertracht der von ihm so gering eingeschätzte Vernichtungskampf gegen die deutsche Sprache und alles deutsche Wesen von den Slawen geführt wird. 20
Der von der Zeitung Arbeiterwille gestellte Vorurteil, Rosegger sei Volksverräter, wird seitens Grazer Tagblattes durch Diffamierung der Zeitung Arbeiterwille als das »perfideste Blatt von Graz«21 abgetan. Der Autor des Beitrags appelliert auf Roseggers Wissensaneignung und ist zuversichtlich, dass sich Roseggers Einstellung grundlegend ändern kann: »er [Rosegger] würde von heiligem Zorn übermannt […] und müsste sich in einen unserer eindringlichsten Rufer im Streite verwandeln […]«.22 Der Berichterstatter äußert auch Roseggers mögliche Rolle im Sprachenkampf: »Tausende erprobter deutscher Kämpfer würden ihm begeistert zujubeln und andere Tausende, die noch immer michelhaft dahinträumen, könnten durch sein Vorbild unseren Reihen zugeführt werden.« 23
Fast drei Monate danach trat Rosegger im Grazer Tagblatt als Aktivist für die Erhaltung deutscher Sprache und Kultur – als der »volkstreue Dichter«24 auf. Seiner Anregung aus dem Neuen Wiener Tagblatt, eine 2 Millionen Kronen hohe Spende seitens wohlhabender Deutschen, die in Österreich leben, zu sammeln, folgten überwiegend positive, 25 aber auch negative Reaktionen. Letztere beziehen sich auf die Spenderliste – wogegen es zahlreiche Meldungen gab, dass andere Vereine und Studenten den Beitrag von 2000 Kronen sammelten, macht Adolf Auderl im Grazer Tagblatt darauf aufmerksam, dass die wohlhabenden Deutschen für die »Unterstützung völkischer Zwecke« nicht so leicht zu gewinnen wären. Die Aufzählung derer, die zwar zu den Reichen gehören, aber für Spende nicht in Frage kommen, nimmt antisemitische Züge an – neben »geldgierigen«<26/sup> Juden, werden noch kirchlichen »Fonde der toten Hand«27, Aristokraten, materialistisch ausgerichtete und verwöhnte Reiche, usw. aufgezählt. Die Spender-Basis, die Rosegger ansprach, ist nach Auderl umstritten, vor allem vergisst man die bisherige Spenden-Bereitschaft des Mittelstandes und dessen Empathie für die deutsche Kultur im Sprachenkampf in den Grenzgebieten. Diese Kritik zeugt gleichzeitig von der intrakulturellen Differenzierung der deutschen Kultur, die gleichzeitig die Tendenz zur Inszenierung der deutschen Homogenität aufbricht.
Die Berichterstattung aus dem Grazer Tagblatt über die Kernstock-Feier in Maribor und die Berichte über die Aufforderung des Dichters Peter Roseggers zur Spende für Gründung deutscher Schulen an der Sprachgrenze haben eine identitätsstiftende Funktion. Beide Akteure werden als Vorbilder im Kampf gegenüber dem bedrohenden Fremden – dem Slawentum – inszeniert und dienen der Legitimierung der eigenen Kultur. Obwohl sich die deutschsprachige Presse im Hinblick auf das nationale Erwachen der vielen nichtdeutschsprachigen Völker der Monarchie zur Inszenierung von deutschsprachiger Homogenität und Superiorität bemüht, ist die Kritik an unterschiedlichen Ständen der deutschen Gesellschaft und ihrer Nicht-Teilnahme an dem sog. Sprachenkampf präsent.
2. Fremdbilder
2. 1. Kulturelle Transfers als geistiger Diebstahl – Diffamierung des Fremden
In beiden untersuchten Periodika ist eine Ausblendung der Berichterstattung über kulturelle Transfers zu beobachten. Dagegen werden realisierte kulturelle Transfers auf unterschiedliche Arten delegitimiert und diffamiert. Der Inszenierung Grazer Tagblattes vom »Tschechischen Diebstahl an deutschen Bühnendichtern«28 ähnelt den Tendenzen, die charakteristisch für die Berichterstattung der Marburger Zeitung gegenüber jedweder slowenischer kultureller Tätigkeit sind. Die Missachtung der Gesetze zu Urheberrechten für Bühnenwerke, die von den slowenischen und tschechischen Theatern nicht immer eingehalten wurden, wird in den Periodika als kriminell medialisiert. Die Selbstrepräsentation der eigenen Nation als einer Kulturnation steht in Opposition zum Fremden:
Der geistige Diebstahl feiert in dem slowenischen Schrifttum wahre Orgien. […] Das Weiße Rößl, die bekannte Novität der Herren Blumenthal und Kadelburg ist mit einem kühnen Griff ins Neuslovenische übertragen worden. Die Handlung spielt nicht mehr in den deutschen Alpen, sondern in Veldes in Oberkrain und an Stelle von Kathi, Mirzl und Martin sind Jerica, Pepca und Miha getreten. Der Theaterzettel nennt weder die Namen der Autoren, noch die Tatsache der Uebersetzung aus dem Deutschen – man will sich also mit fremden Federn schmücken. Das passt ganz gut zu dem Gesamteindruck, den jedermann vom slovenischen Schrifttum hat. 29
»Die Verstoße gegen das Deutschtum, welche von dieser ‘Kulturnation’ [Slowenen] immer wieder versucht werden, haben auch einen räubermäßigen Charakter […]«30
Die Angriffe auf deutsche Schulkinder seitens der Tschechen werden als repräsentativ für den Charakter aller slawischen Völker inszeniert und dadurch Generalisierungen auf der Ebene der Nation, aber auch darüber hinaus inszeniert:
Welchen Abgrund von Roheit und Feigheit enthüllt hier die slavische Volksseele!
Überfall wehrloser Kinder! Im Anfange hieß es mit scheinheiligem Augenaufschlage, nur das deutsche Band und die Kappe der »Burschaki« brächten die Taubennatur der gutmütigen Söhne Libussas zum Kochen; jetzt genügen schon die Laute von Kindern, um das tschechische »Nationalgefühl« zum Überschäumen und Dreinschlagen zu bringen. 31
Die tschechischen nationalen Bestrebungen werden als Bedrohung der Stabilität der eigenen Ordnungsstruktur mittels der Überfremdung inszeniert und werden in trivialen Hetzgedichten fiktionalisiert, in denen die politische Tätigkeit zwei tschechischer Abgeordneten, die zu den tschechischen Sozialisten gehörten und deren parlamentarische Tätigkeit als ′Theater′ diffamiert werden:
In Wien ein ceski Theater
Verlangt ihr im Augenblick,
Dramatische Künste zu pflegen
Und – strengnationale Musik.
...
Und spielen der Fresl, der Klosac
Und Lisy nicht exzellent? -:
Ihr habt euer ceski Theater
Doch in Österreichs Parlament ... 32!
3. Fazit
Die beiden steirischen Periodika unterscheiden sich untereinander in der Intensivierung der einzelnen Modi der Fremdwahrnehmung. Die Marburger Zeitung, aber auch deutsche kulturelle Institutionen in Maribor, wie das Stadttheater, erklärten öffentlich ihre politische Funktion – die Bewahrung der deutschen Kultur in Maribor. Dem entsprechend verlief die Inszenierung der slowenischen Kultur als einer Fremden, oft mit der Unterbedeutung des ′Abartigen′ und ′Artfremden′, die in der Marburger Zeitung radikalere Züge annimmt und ist auch häufiger vorkommend im Vergleich zum Grazer Tagblatt, in dem ähnliche Tendenzen der Inszenierung gegenüber der tschechischen Kultur zu beobachten sind.
Die Untersuchung des Grazer Tagblattes (1907-1909) lässt eine rege Berichterstattung über die deutschsprachige Kulturlandschaft im slowenischen ethnischen Gebiet beobachten. Die Medialisierung von minoritären Kulturen und Literaturen im Vergleich zur deutschsprachigen Kultur und Literatur wurde im Sinne der Superiorität der Letzteren inszeniert. Die kulturellen Berichte erfüllten im Rahmen der Inszenierung der regionalen Kulturakteure, darunter der Schriftsteller Peter Rosegger und Ottokar Kernstock sowie der deutschkulturellen Homogenität, eine kollektive identitätsstiftende Funktion, was angesichts der Lage von Kulturzentren Maribor und Graz an der Peripherie sowie in der kulturellen Kontaktzone – in ständiger Berührung mit der sich damals zunehmend autonomisierenden slowenischen Kultur – klar in Erscheinung tritt. Die Elemente der minoritären Kulturen und Literaturen der Donaumonarchie wurden beim Transfer, meist in Form von Übersetzungen und Theateraufführungen, in den Periodika in unterschiedlicher Weise diffamiert.
Hinsichtlich der Fremdbilder der slowenischen aber auch anderer slawischen Kulturen ist eine Tendenz zur Inszenierung des Fremden als eine Negation von Eigenheit zu beobachten. Während die Laibacher Zeitung, wie die neuesten Untersuchungen zeigen,33 um die Jahrhundertwende noch ein prinzipielles Verstehen gegenüber der slowenischen kulturellen Tätigkeit entgegenbringt und auf die Inszenierung der nationalbedingten und stereotypisierten Fremdbilder verzichtet, sind gerade diese für die steirischen Periodika Grazer Tagblatt und Marburger Zeitung charakteristisch. Alle drei Modi der Fremdwahrnehmung nach O. Schäffter, die in den Inszenierungen zu beobachten sind, zeigen eine ambivalente Natur gegenüber dem Fremden, was auch auf die historischen Geschehnisse zurückzuführen ist. Ein polyvalentes, komplementäres Charakter in der Fremdwahrnehmung, das nicht auf der Unterscheidung zwischen dem Eigenen und Anderem bzw. Fremden beruht, tritt in den Periodika nicht zum Vorschein.
1Franjo Baš: Prispevek k zgodovini Severovzhodne Slovenije, Založba Obzorja Maribor, 1989, str. 139 und Bruno Hartman: Kultura v Mariboru. Gibanja, zvrsti, osebnosti. Maribor: Obzorja 2001, S. 14-15.
2Vgl. Bruno Hartman: Kultura v Mariboru. Gibanja, zvrsti, osebnosti. Maribor: Obzorja 2001, S. 14-16.
3Das Periodikum erschien erstmals 1862 unter dem Namen Correspondent für Untersteiermark, wechselte aber bis zu dessen Einstellung im Jahre 1945 oftmals den Namen. Vgl. Janko Glazer: Razprave – članki – ocene. Maribor: Obzorja 1993, S. 645-685.
4Vgl. M. Birk, Das deutsche Drama, S. 256.
5Folgende Daten geben Aufschluss über die wirtschaftliche Situation in Maribor vor dem Ersten Weltkrieg: Nur 10 Prozent der slowenischsprachigen Einwohner waren immobilien- und einkommenssteuerpflichtig, weiterhin gab es 160 slowenische von insgesamt 1.280 Hausbesitzern, und es waren 13 slowenische und 192 deutsche Unternehmen registriert. Vgl. Dragan Potočnik: Maribor med leti 1918-1941 (Die Stadt Maribor im Zeitraum 1918-1941). In: Studia Historica Slovenica. Jahrgang 6 [2006], Heft 2 und 3, S. 403-420, hier S. 403.
6Vgl. Anja Urekar, Matjaž Birk: Prozesse der Hybridisierung und Abgrenzung in der Mariborer Theaterlandschaft 1900-1919. In: Zwischenräume : kulturelle Transfers in deutschsprachigen Regionalperiodika des Habsburgerreichs (1850-1918). Hg. von Matjaž Birk. 2009, S. Wien, Berlin: LIT, S. 125-148.
7Correspondent für Untersteiermark, 28. September 1862, Nr. 53, S. 1.
8Marburger Zeitung, 28. Dezember 1887, Nr. 155, S. 1.
9Bernhard Waldenfels: Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1997, S. 150.
10Vgl. Urekar/Birk 2009, S. 126.
11N.N.: Das Marburger Theater. Seine finanzielle Lage. In: Marburger Zeitung, 31. 7. 1909, Nr. 91, S. 3.
12N.N.: Die Kernstock-Feier. In: Grazer Tagblatt, Jg. 19, Nr. 210, S. 1-2.
13N.N.: Die Kernstock-Feier. In: Grazer Tagblatt, Jg. 19, Nr. 209, S. 3-4.
14Ebd. Das Zitat stammt aus der im Grazer Tagblatt veröffentlichten Rede des Abgeordneten und Publizisten Heinrich Wastian (1873-1931) im Rahmen der Kernstock-Feier in Maribor. Neben den Redner traten das Marburger Männergesangsverein und andere Gesangsgruppen, in Anwesenheit von Vertretern der deutschen Vereine in Maribor, auf. Mehr über Wastian vgl. auch Janez Cvirn: Trdnjavski trikotnik. Politična orientacija Nemcev na Spodnjem Štajerskem (1861-1914), Založba Obzorja, Maribor 1997, S. 372-373.
15Vgl. Das Konzept der immagined communities von Benedict Anderson. Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation: Zur Karierre eines erfolgreichen Konzepts. Frankfurt/New York: Campus Verlag 2005.
16Zur Unterscheidung zwischen Medien und Topoi des kulturellen Gedächtnisses vgl. Patrick Schmidt: Zwischen Medien und Topoi: Die Lieux de mémoire und die Medialität des kulturellen Gedächtnisses. In: Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifität. Hg. Von Astrid Erll und Ansgar Nünning. Berlin, New York: de Gruyter, 2004, S. 25-44, hier S. 36.
17Vgl. hierzu Pierre Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis: Die Gedächtnisorte. In: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin: Wagenbach, 1990, S. 17.
18Vgl. Anja Urekar: Das deutsche Stadttheater und die Kulturlandschaft von Maribor im Spiegel des Grazer Tagblattes (1907-1909). Selbstbilder deutscher Kultur. In: A svet je kroženje in povezava zagonetna --- : zbornik ob 80-letnici zaslužnega profesorja dr. Mirka Križmana. Hg. von Vida Jesenšek et al. Maribor: Mednarodna založba Oddelka za slovanske jezike in književnosti, Filozofska fakulteta, 2012, S. 409-419.
19th.: Rosegger ein – »Volksverräter«? In: Grazer Tagblatt, 23. 1. 1909, Nr. 23, S. 3.
20Ebd.
21Ebd.
22Ebd.
23Ebd.
24N.N.: Eine begrüßenwerte Anregung Roseggers. In: Grazer Tagblatt, 27. 4. 1909, Nr. 116, S. 3.
25Ebd., siehe auch: N.N.: Roseggers nationale Anregung. In: Grazer Tagblatt, 2. 5. 1909, Nr. 121, S. 3.
26Adolf Auderl: Einiges zu Roseggers Anregung. In: Grazer Tagblatt, 16. 5. 1909, Nr. 135, S. 1-2, hier S. 1.
27Ebd.
28N.N.: Tschechischer Diebstahl an deutschen Bühnendichtern. In: Grazer Tagblatt, 20. 1. 1909, Nr. 20, S. 5.
29N.N.: Pri belem konjičku. In: Marburger Zeitung, 5. 2. 1903.
30N.N.: Marburger Spaziergänge. VI. In: Marburger Zeitung, 7. 5. 1904, Nr. 56, S. 4
31F.W.: Tschechische Roheit. In: Grazer Tagblatt, 14. 2. 1909, Nr. 45, S. 5.
32Josef Rich. Sparowitz: Den Tschechen in Wien. In: Grazer Tagblatt, 14. 2. 1909, Nr. 45, S. 5.
33Anja Urekar Osvald: Literarische Fremd- und Selbstinszenierung in der deutschen regionalen Presse aus der Steiermark und Krain (1900-1914) und ihre gesellschaftliche Funktion: doktorska disertacija. Maribor, 2015.